Sollte es zu einer Großen Koalition kommen, ist die Opposition im Bundestag zahlenmäßig klein. Sie muss trotzdem wirksam kontrollieren können, meint Thomas Maron.

Berlin - Gewiss ist es zwar nicht, aber doch wahrscheinlich: Deutschland wird wohl bald erneut von einer Großen Koalition regiert. Wenn dann die Opposition im Bundestag auf eine kleine Gruppe von linken und grünen Abgeordneten zusammenschmilzt, dann darf nicht vergessen werden: die Große Koalition ist diesmal aus Sicht einer Mehrheit der Bürger keine bedauerliche Panne. Eine Mehrheit hat den Pakt von Union und SPD nicht nur – wie bei jeder Wahl – rein rechnerisch möglich gemacht, sondern auch gewollt.

 

Man würde es sich deshalb zu leicht machen, wenn man den Wählern zuriefe, dass sie sich diese Suppe selbst gekocht haben. Aber man wird ihnen auch nicht gänzlich die Schattenseiten ersparen können, die mit der weit verbreiteten Sehnsucht nach einer vermeintlich starken Führung verbunden sind. Aus einer zahlenmäßig mickrigen Opposition lässt sich nicht mit Änderungen der Geschäftsordnung und des Grundgesetzes eine mächtige Einheit formen – so berechtigt die Sorge auch sein mag, dass die parlamentarische Kontrolle der Regierung künftig nicht effektiv genug ist. Man darf es auf diesem Wege auch nicht versuchen, weil dies dem Wahlergebnis widerspräche. Die Opposition grundlegend stärken – das kann nur der Wähler.

Das Verfassungsgericht misst der Minderheit hohe Bedeutung zu

Aber grundlegende Oppositionsrechte sicherstellen muss man gleichwohl. Das Bundesverfassungsgericht als Hüter des Grundgesetzes hat aufgrund leidvoller historischer Erfahrungen stets betont, welch hoher Wert der Arbeit der Minderheit im Parlament beizumessen ist. Sie muss in der Lage sein, Alternativen zur Regierungspolitik aufzuzeigen. Sie muss vor allem Kontrollrechte haben, um die sie nicht erst betteln muss.

Über die Verteilung der Redezeiten im Bundestag wird man sich da vergleichsweise leicht einigen, denn auch eine Große Koalition kann kein Interesse daran haben, dass Parlamentsdebatten gänzlich zur Selbstbespiegelung verkommen. Darüber hinaus sind aber zwei weitere Instrumente der Opposition besonders bedeutsam: die Möglichkeit, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, und das Recht, ein Gesetz der Regierung durch eine sogenannte Normenkontrollklage vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Beides wäre nach geltendem Recht derzeit nicht möglich, wenn sich Union und SPD zusammentun. Denn das Grundgesetz sieht jeweils die Zustimmung von mindestens einem Viertel aller Abgeordneten vor, um diese Kontrollinstrumente gegen den Mehrheitswillen zu erzwingen. Linke und Grüne bringen es aber mit 127 von 630 Abgeordneten lediglich auf rund 20 Prozent der Stimmen.

Das Grundgesetz sollte präzisiert werden

Hier bedarf es im Fall der Fälle einer klugen Lösung. Die pauschale Absenkung des Stimmenanteils von 25 auf 20 Prozent läge nahe, wäre aber leichtsinnig. Denn in künftigen Zeiten mit einer starken Opposition könnten Ausschuss und Klage zu Krawallinstrumenten verkommen, wenn die Hürde zu niedrig liegt. Denkbar wäre aber schon, in der Geschäftsordnung des Bundestags für diese Wahlperiode Folgendes verbindlich zu vereinbaren: Union und SPD enthalten sich, wenn sich Linke und Grüne geschlossen für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses aussprechen. Die Opposition käme so mit einfacher Mehrheit ans Ziel. Bei der Normenkontrollklage ist dies nicht möglich. Diesem Verfahren müssen laut Grundgesetz in jedem Fall mindestens 25 Prozent der Abgeordneten zustimmen, eine einfache Mehrheit reicht nicht. Deshalb müsste hier das Grundgesetz präzisiert werden. Für den Fall, dass die Opposition weniger als ein Viertel der Abgeordneten stellt, sollte die Möglichkeit zur Normenkontrollklage eröffnet werden, wenn sich die Oppositionsfraktionen einig sind. Damit wäre ein Mindestmaß an Kontrolle garantiert. Mehr ist nicht drin, denn eines verbietet das Grundgesetz nicht: große Mehrheiten.