Zu Hause herrscht Ausnahmezustand. Trotzdem kommt Ägyptens umstrittener Präsident Mursi zum ersten Deutschland-Besuch nach Berlin. Kanzlerin Merkel hat die Hilfe für Ägypten zu Recht an den Erfolg von Reformen geknüpft, findet StZ-Redakteur Knut Krohn.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Natürlich hätte die Bundesregierung anders handeln können. Sie hätte dem ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi bei seinem Besuch in Berlin die kalte Schulter zeigen können. Denn vieles, was in diesen Tagen in Ägypten passiert, erinnert in erschreckender Weise an die letzten, blutigen Tage des gestürzten Machthabers Hosni Mubarak. Mursi hat in dieser Krise keine demokratische Antwort auf den Aufruhr im eigenen Land. Wie sein Vorgänger versucht er ihn mit brutaler Gewalt im Keim zu ersticken. Dennoch hat die Bundesregierung dem Staatsgast den roten Teppich ausgerollt und hat damit das Richtige getan. Durch diesen symbolischen Akt hat sie ein Zeichen des Respekts gegenüber der Demokratie gesetzt: Mohammed Mursi ist zwar längst nicht mehr der demokratische Hoffnungsträger, aber er ist der demokratisch gewählte Präsident Ägyptens.

 

Dem Staatschef aus Kairo ist diese Reise nach Berlin offensichtlich überaus wichtig. Keiner hätte es ihm verdenken können, wenn er die Visite angesichts der Zustände im eigenen Land kurzerhand abgesagt hätte. Auch wusste Mursi, dass er von seinen Gastgebern sehr deutliche Worte zu hören bekommen würde. Das zeigt vor allem: der islamische Ideologe aus den Reihen der Muslimbrüder scheint auch eine sehr pragmatische Seite zu haben.

Allein in Deutschland steht Ägypten mit weit über zwei Milliarden Euro in der Kreide

An genau diesem Punkt hat die Politik der Bundesregierung angesetzt. Beide Seiten wissen sehr genau, dass Ägypten auf die Zusammenarbeit mit Deutschland angewiesen ist. Beim Schnüren der versprochenen Hilfspakete wird natürlich über die finanzielle Unterstützung geredet, Thema muss aber auch die Hilfe beim Aufbau demokratischer Institutionen in Ägypten sein. Beides, so ist dem Gast aus Kairo unmissverständlich klargemacht worden, ist untrennbar miteinander verbunden. Die Möglichkeiten der Bundesregierung, hier Einfluss auszuüben, sind groß: allein in Deutschland steht Ägypten mit weit über zwei Milliarden Euro in der Kreide. Mohammed Mursi hofft, dass seinem Land in absehbarer Zukunft wenigstens Teile dieser Schulden erlassen werden. Doch Berlin hat zu Recht deutlich signalisiert, dass die Regierung in Ägypten zuerst die inzwischen massiven Zweifel an ihrem Willen zum Aufbau der Demokratie ausräumen muss. Auch mehrere Entwicklungsprojekte sollen aus diesem Grund noch einmal geprüft werden.

Es gibt also viele gute Gründe, noch etwas Geduld mit der Regierung in Kairo zu haben

Thema des Gesprächs von Präsident Mursi mit Bundeskanzlerin Angela Merkel war jedoch nicht nur die ägyptische Innenpolitik. Kairo nimmt eine zentrale Position im Machtgefüge der Region ein. Während des Gazakrieges zwischen Israel und der Hamas hat der Staatschef aus Kairo bewiesen, dass er ein unideologischer und effektiver Vermittler sein kann – eine Fähigkeit, die ihm im Konflikt mit dem eigenen Volk aber ganz offensichtlich abhandengekommen ist. Mit Wohlwollen ist im Westen registriert worden, dass sich Mursi beim Treffen der blockfreien Staaten im vergangenen August in Teheran auf die Seite der Aufständischen in Syrien stellte – und damit das iranische Mullahregime vergrätzte, das weiter an dem blutrünstigen Despoten in Damaskus festhält. Außenminister Guido Westerwelle hat recht, wenn er daran erinnert, dass Ägypten das Schlüsselland dafür ist, dass die demokratischen Umbrüche in der arabischen Welt insgesamt gelingen können.

Es gibt also viele gute Gründe, noch etwas Geduld mit der Regierung in Kairo zu haben. Niemand konnte erwarten, dass nach der Wahl alles nach dem Willen des Westens läuft. Die Bundesregierung hatte nun die große Chance, dem ägyptischen Präsidenten bei seinem Besuch deutlich zu machen, dass es in demokratischen Rechtsstaaten Grenzen gibt, die nicht überschritten werden dürfen. Es liegt jetzt an Mursi, im eigenen Land zu zeigen, dass er diese zentrale Botschaft verstanden hat.