Wenn die Natur zurückschlägt, wirkt das wie eine Lektion in Sachen Demut. Muss man eine Stadt wie New York direkt ans Wasser bauen und dem Sturm so viel Angriffsfläche bieten? Doch es gibt gute Gründe dafür, das zu tun – man darf die Natur nur nicht unterschätzen.

Stuttgart - Die Hochhäuser von Manhattan stehen auf solidem Grund, doch überall auf der Insel gibt es Quellen. Im Stadtbild sind sie so wenig zu sehen wie der Nesenbach in Stuttgart. Doch die Pumpen in der U-Bahn müssen rund um die Uhr arbeiten, damit die Schächte nicht volllaufen. Auch ohne Sturmflut kämpft die Stadt mit dem Wasser. Fiele der Strom aus, würde es nur zwei Tage dauern, bis die U-Bahn überflutet ist, berichtet der Journalist Alan Weisman in seinem Buch „Die Welt ohne uns“. Nach 20 Jahren würden die Stahlträger nachgeben, die in New York so manche Straße tragen. Wenn es den Menschen nicht mehr gäbe, bräuchte die Natur schließlich 500 Jahre, um die letzten Überreste der Stadt zu überwuchern. Manhattan ist – wie viele Metropolen der Welt – der Natur abgerungen worden, und die Natur fordert dafür einen Preis.

 

Der Preis, den der Mensch bezahlen muss, damit seine Errungenschaften bestehen, fällt von Ort zu Ort unterschiedlich aus. In Deutschland ist man beispielsweise vor Wirbelstürmen und Tornados weitgehend sicher. Doch überall auf der Welt steigen die Schäden, die auf das Konto der Natur gehen, und am meisten zahlen die Versicherungen nach Stürmen. In den USA, die davon besonders betroffen sind, liegt das an zwei Faktoren: Die Bevölkerung zieht an die Küste, und sie wird reicher – sie hat also mehr zu verlieren. Es ist nicht so, dass die Wirbelstürme heftiger würden, auch durch den Klimawandel nicht, vielmehr bietet der Mensch den Stürmen mehr Angriffsfläche. Nach dem Hurrikan Katrina im Jahr 2005 veröffentlichten die US-Behörden eine Statistik, die zeigt, welche Schäden die Wirbelstürme von früher heute verursachen würden (die Studie als PDF). Der Jahrhundertsturm, der 1926 Miami verwüstete, würde heute mehr als 100 Milliarden Dollar vernichten – das ist dieselbe Größenordnung wie Katrina. Und wenn der Trend anhalte, so die Expertise, dann könnten es im kommenden Jahrzehnt schon 500 Milliarden Dollar sein.

Die Natur reagiert hart und unberechenbar

Die Menschen an der Ostküste der USA haben gewusst, worauf sie sich einlassen, ebenso wie die Deutschen, die ihr Haus in ein von Hochwasser bedrohtem Gebiet bauen. Und auch wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sein sollten, die das Risiko verringern und die Widerstandsfähigkeit erhöhen, werden die Naturgefahren nicht gebannt sein. So kann man die Deiche erhöhen oder dem Wasser die Möglichkeit geben auszuweichen. Mancher moderne Stadtteil wie die Hamburger Hafencity verträgt sogar eine leichte Überschwemmung. Neben den technischen Maßnahmen gibt es auch soziale: ausgeklügelte Notfallpläne zum Beispiel oder Sicherheitsstandards beim Bau, die auch durchgesetzt werden. Doch alle Vorsichtsmaßnahmen helfen immer nur bis zu einem bestimmten Grad: Sie   halten vielleicht dem Jahrhundertsturm stand, aber nicht mehr dem Jahrtausendsturm. Und keine Statistik verbietet es einem Jahrtausendsturm, sich in der Gegenwart zusammenzubrauen.

Es ist keine Form von Übermut, der Menschen an der Küste bauen lässt; dahinter stecken vielmehr nachvollziehbare ökonomische Gründe und auch der Wunsch nach mehr Lebensqualität. Der Staat wird diese Entwicklung nicht steuern, sondern nur mit Regeln und Anreizen Einfluss darauf nehmen können. Und mit moderner Technik und klugen sozialen Strukturen wird der Mensch noch manchen Raum besetzen, den die Natur bisher verteidigt hat. Sofern dabei die Natur nicht unwiederbringlich zerstört wird, ist das durchaus akzeptabel. Doch man muss darauf gefasst sein, dass sich die Natur bemerkbar machen wird – vielleicht nicht so dramatisch wie in Roland Emmerichs Film „The Day after tomorrow“, aber durchaus hart und unberechenbar. Denn letztlich ist selbst der felsige Grund, auf dem die Hochhäuser Manhattans stehen, aus Sicht der Natur vergängliches Material.