Wolfgang Schuster wird nicht mehr für das Amt des Oberbürgermeisters kandidieren – und erweist seiner Stadt damit einen weiteren Dienst.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Es geschieht nicht oft, dass ein Politiker Freund und Feind mit einer Rede so überrascht, wie das Wolfgang Schuster am Montag gelungen ist. Im Grunde genommen - und in vielerlei Hinsicht auch vollkommen zu Recht - hat sich der Stuttgarter Oberbürgermeister in seiner Neujahrsansprache eine knappe halbe Stunde lang so sehr gelobt, dass es eigentlich nur eine Konsequenz geben konnte: Er macht weiter.

 

Doch dann nutzte Schuster seine persönliche 15-Jahres-Bilanz zu einer rhetorisch brillant formulierten Kehrtwende: Die Stadt stehe nun, ein Jahr vor dem regulären Ende seiner Amtszeit, so gut da, dass er 2013 "ruhigen und guten Gewissens das Steuer abgeben" könne. Also doch keine erneute Kandidatur, kein Ansinnen auf eine Wiederwahl, kein entschiedenes "Weiter so!", wie es viele Bürger von ihrem Rathauschef erhofft oder befürchtet hatten, je nach Standpunkt.

Stattdessen hat Wolfgang Schuster eine Entscheidung getroffen, die ganz alleine seine Entscheidung war. Er hat es nicht den Wählern überlassen, ihr Urteil über seine Amtszeit zu fällen, sondern er hat sein persönliches Ende im Rathaus selbst bestimmt. So handelt jemand, der souverän ist und sich frei machen will von Zwängen.

Langer Anlauf bis zur Erkenntnis

So handelt jemand, der die Deutungshoheit über sein Handeln behalten möchte, weil er zumindest ahnt, dass eine Wiederwahl auch scheitern könnte. Und so handelt jemand, der zwar einen langen Anlauf gebraucht hat für die Verkündung dieser einzig richtigen Entscheidung, aber am Ende doch erkannt hat, dass es der Stadt guttut, wenn er Schluss macht.

Die Bürger der immer noch vom Streit über ein Bauprojekt geteilten Stadt können nun hoffen, dass die Parteien nach Kandidaten mit Fähigkeiten fahnden, welche in Stuttgart in den vergangenen beiden Jahren nicht mehr zu spüren waren. Dabei geht es um die Rückkehr der Toleranz in jenen Ort, der einst als die Kapitale des schwäbischen Liberalismus galt.

Die Freiheit im Denken - und mehr noch die Anerkennung der Freiheit des Andersdenkenden - waren Grundfesten in dieser Stadt, die im Streit über Stuttgart 21 kaum noch gelebt wurden. Dass der Konflikt über den Bahnhof viele Höhepunkte in Schusters Amtszeit überlagert, ist zwar nicht alleine seine Schuld, einen wesentlichen Teil der Verantwortung dafür trägt er aber doch. Wäre der Amtsinhaber noch einmal angetreten, hätten die Bürger vermutlich einen weiteren Lagerwahlkampf ertragen müssen.

CDU verliert Schusters Bonus

Nun besteht wenigstens die Chance, dass der Stadt die schlimmsten verbalen Scharmützel erspart bleiben. Dies ist ohne Zweifel das Verdienst von Wolfgang Schuster. Er kann nun gelassen beobachten, wie schwer sich die Parteien bei der Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger tun. Die CDU hat mit dem Amtsinhaber auch dessen Bonus verloren.

Und sie wird feststellen, dass die Schuhe des in den eigenen Reihen nicht geliebten Oberbürgermeisters größer sind, als viele ahnen. Mit zahlreichen Projekten hat Wolfgang Schuster die Stadt in eine für einen Schwarzen bemerkenswert grüne Richtung gelenkt. Die Union wird diesen Kurs kaum korrigieren können, wenn sie nicht Gefahr laufen will, Wahlkampf gegen ihren eigenen Mann im Rathaus zu machen. Doch auch die Grünen werden sich schwertun.

In Schuster ist ihnen ihr wichtigstes Feindbild abhandengekommen. Sie haben nun keinen mehr, gegen den sie agieren können, sondern sie brauchen einen Kopf, für den sie sich engagieren. Einzig die SPD kann die Sache gleichmütig kommentieren. Für sie ändert sich nicht viel. Sie muss erst mal sich selbst wiederfinden. Wolfgang Schuster aber hat mit seinem angekündigten Abschied einen wichtigen Schritt getan auf dem Weg zu seinem Platz in der Ehrentafel der Oberbürgermeister. Er kann jetzt wieder ein souveränes Stadtoberhaupt sein. Das war er nicht immer.