Am Freitagabend werden die Olympischen Spiele in Sotschi eröffnet – und das ist auch gut so. Denn die Athleten wollen nach langer Vorbereitung endlich um die Medaillen kämpfen. Auch deshalb sollte der politische Wirbel um das Spektakel nun dem Sport weichen, schreibt Dominik Ignée.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Am Freitagabend werden die Olympischen Winterspiele in Sotschi eröffnet, und das ist auch gut so. Endlich, sagen sich die Athleten, sie wollen um Gold, Silber und Bronze kämpfen. Seit vier Jahren nehmen sie die Spiele in Russland ins Visier, seit mindestens einem Jahr bereiten sie sich im Training akribisch darauf vor. In der Hoffnung, zu olympischen Ehren zu gelangen – das ist der Höhepunkt im Leben eines Sportlers.

 

Für diejenigen, die keine Medaillenchancen haben, ist Dabeisein schon alles. Dieses von Pierre de Coubertin 1896 eingeführte Olympia der Neuzeit, dieses Sportfest für die Jugend dieser Welt, es hat bis heute nichts von seinem Charme und seiner Faszination verloren. Im Athletendorf trifft sich diese Jugend, sie tauscht sich aus, sie feiert miteinander. Die Idee von Coubertin war vor allem, die sonst so unbefriedete Welt zumindest für 16 Tage zu befrieden – ein ehrenhafter Gedanke.

Schon zu Zeiten Coubertins wurde Olympia missbraucht

Olympische Spiele sollen rein und gut sein – aber die Welt um sie herum ist es nicht. Am Beispiel der hochpolitisch diskutierten Russlandspiele zeigt sich besonders, dass Coubertins Idee den Pfad der Tugend verlassen hat. Damit ging es bereits wenige Jahre nach den ersten olympischen Wettkämpfen 1896 in Athen los. Schon im Jahr 1904, es waren erst die dritten Spiele der Neuzeit, holte US-Präsident Theodore Roosevelt gegen den Willen der Sportlobbyisten Olympia nach St. Louis, weil dort im Paket mit der Weltausstellung viel Geld zu machen war. Pierre de Coubertin reagierte auf den Missbrauch seiner Idee verdrossen und blieb den Spielen fern.

Die Spiele, die heute eröffnet werden, sind hochpolitisch. Kaum ein anderes Sportfest wurde im Vorfeld so kritisch diskutiert wie das Spektakel, das alle Welt nur Putin-Spiele nennt. Der russische Präsident, so scheint es, möchte seine Stellung im In- und Ausland festigen und hat deshalb die olympische Rekordsumme von geschätzten 47 Milliarden Dollar in das Sportfest gepumpt. Schmiergelder sollen geflossen sein, in die Berge westlich der Schwarzmeer-Metropole Sotschi wurde in eine unberührte Berglandschaft ein monströses Wintersportparadies gepflastert. Einwohner wurden umgesiedelt, Bauarbeiter sollen ausgebeutet worden sein. Menschenrechtsorganisationen laufen Sturm gegen Putins Gigantismus. Dazu kommt die Furcht vor Terroristen aus der unruhigen Nordkaukasus-Region, die Menschenrechtsverletzungen in Russland werden thematisiert. Außerdem wirft ein Gesetz, das „Propaganda“ für Homosexualität verbietet, einen weiteren Schatten auf das Gastgeberland dieser Winterspiele.

Es ist zweifelhaft, ob Putin zum großen Gewinner wird

Die Probleme rund um die Großveranstaltung häufen sich, neu aber sind politische und von Politikern missbrauchte Spiele nicht. 1936 benutzte das nationalsozialistische Schreckensregime die Spiele in Berlin, um Deutschland als angehende Weltmacht zu positionieren; 1972 in München endete die Entführung israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen in einem Blutbad; 1980 boykottierten westliche Staaten die Spiele in Moskau, weil russische Panzer zeitgleich durch Afghanistan rollten; 2008 trübte der Tibet-Konflikt das Spektakel in Peking.

Und 2014? Hochbrisant – aber doch nur ein Sportfest? Es ist zweifelhaft, ob Putin bei dieser Menge an Vorbehalten am Ende als der große Gewinner dastehen wird. Dabei wäre ein Erfolg nicht nur wichtig für ihn, sondern auch für die russische Seele, die noch immer gekränkt ist, obwohl der Boykott der Moskau-Spiele schon 34 Jahre zurückliegt. Dagegen werden in Sotschi wohl die Sportler die Gewinner sein, denn es besteht die Hoffnung, dass sich nach der Eröffnung die für Olympia typische Eigendynamik entwickelt. Da geht es dann nur noch um Gold, Silber oder Bronze – ohne Politik, ohne Bedenken, ohne Angst. Friedlich, zumindest für 16 Tage!