Die Staaten lassen sich von den global agierenden Konzernen in der Hoffnung auf Arbeitsplätze erpressen, kommentiert StZ-Autor Michael Heller die Debatte um die „Paradise Papers“.

Stuttgart - Die Diskussion um die „Paradise Papers“ folgt einem bekannten Muster. Stets ist die Empörung groß, wenn offenbar wird, dass Konzerne ebenso wie einzelne Prominente weniger Steuern zahlen, als ein gesellschaftlicher Konsens für geboten hält. An keinem Thema reiben sich die Vorstellungen von Gerechtigkeit in der Gesellschaft stärker als an den Steuern. Dabei ist die Debatte von unscharfen Begrifflichkeiten geprägt. Von Steuerhinterziehung, also einem Gesetzesverstoß, ist da selten die Rede; stattdessen werden Steuerschlupflöcher ausgemacht. Dahinter steckt die Haltung: So etwas ist zwar nicht verboten, aber ein anständiger Mensch, sei es privat oder in einem Unternehmen, tut das nicht.

 

Trotzdem sind es die rechtlichen Grenzen, die Manager und Unternehmer im Auge haben müssen, nicht die moralischen Anforderungen, die schwer objektivierbar sind. Schwierig ist die Sache trotzdem, weil es nicht um eine simple Entscheidung von „Ja“ oder „Nein“ geht, die sämtliche Einzelfälle abdecken würde. Aber es kann eine unternehmerische Grundsatzentscheidung getroffen werden, steuerlich einen risikolosen Kurs zu fahren oder aber aggressiv auf Optimierung zu setzen.

Noch nicht einmal in der EU herrscht Solidarität

Diese Wahl hat jedes Unternehmen, und nicht immer wird die richtige Entscheidung getroffen. So war zum Beispiel der angesehene Unternehmer Reinhold Würth bis vor einigen Jahren wegen Steuerhinterziehung vorbestraft, weil er der Versuchung erlegen war, über konzerninterne Verrechnungspreise die Steuerlast stärker als zulässig zu drücken. Auch einige hochbezahlte Sportstars wie der portugiesische Fußballer Cristiano Ronaldo müssen mit dem Risiko leben, dass ihre riskanten Steuerkonstruktionen irgendwann zusammenbrechen.

Auch wenn sich die Profiteure von Steuersparmodellen den Vorwurf der Gier gefallen lassen müssen, so sind sie doch nicht die Verursacher der Skandale. Denn es ist die Politik, die die Steuergesetze macht. Wenn Länder wie Luxemburg, Irland oder die Niederlande Steuergesetze machen und Deals vereinbaren, die dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Hohn sprechen, dann ist es müßig, sich über die Praktiken auf den Cayman Islands aufzuregen. Es ist offensichtlich, dass sich in Europa Länder von Konzernen steuerliche Zugeständnisse in der Hoffnung auf Arbeitsplätze abringen lassen. Es fehlt leider einfach der Mut, sich mit diesen Unternehmen anzulegen. Dass die Solidarität der Staaten noch nicht einmal in der EU funktioniert, ist besonders deprimierend – oder ein Hinweis darauf, dass es sich um ein abgekartetes Spiel zugunsten der großen Unternehmen handelt.

G20 und OECD kommen nur mühsam voran

Gewiss gibt es zahlreiche Initiativen zur Zusammenarbeit auf internationaler Ebene wie den Informationsaustausch über Bankkonten. Das ist ein ermutigender Schritt, bei dem es freilich um den Kampf gegen Steuerhinterzieher geht, an dem zumindest prinzipiell alle Finanzbehörden Interesse haben. Anders sieht es bei den fragwürdigen Praktiken von Unternehmen aus, bei denen oft ein Land gegen das andere ausgespielt wird. Den global agierenden Konzernen wollen die G-20-Staaten und die OECD mit einer Initiative gegen Gewinnverschiebungen und Steuersparmodelle zu Leibe rücken – ein beschwerlicher Weg, auf dem es nur langsam vorangeht.

Immerhin 71 Staaten haben aber in diesem Jahr einen Aktionsplan unterschrieben. Die USA sind freilich nicht darunter. US-Präsident Donald Trump hat andere Ziele, er will die Steuern senken. Die britische Premierministerin Theresa May hat das den Konzernen in ihrem Land ebenfalls in Aussicht gestellt. Der Trend geht also eher dahin, die nationale Wirtschaft zu fördern. Den „Paradise Papers“ werden noch viele weitere Veröffentlichungen über skandalöse Steuerpraktiken folgen.