Richard Wagner war ein genialer Komponist – und ein übler Judengegner. Deshalb ist das Kapitel: „Die Deutschen und Wagner“ auch an dessen 200. Geburtstag noch nicht abgeschlossen, meint der StZ-Redakteur Götz Thieme.

Stuttgart - Richard Wagner und die Deutschen, das Thema ist wohl bekannt und erkundet: der Komponist bot da ein schöne Bandbreite von Ansichten, wie dieses Volk seine Gesellschaft zu organisieren habe, wo seine Feinde stehen. Das reichte von Bakunin’schen Sozialutopien bis zu nationalen Kampfgedichten im Krieg 1870/71 gegen Frankreich.

 

Aber die Deutschen und Wagner? Das ist ein Kapitel, das nicht abgeschlossen scheint. Man muss da gar nicht an den jüngsten „Tannhäuser“-Pseudotheaterskandal in Düsseldorf denken, als ein Opernregieanfänger wichtigtuerisch meinte, er könne auf der Bühne mit Hakenkreuzarmbinden, Erschießungen und Gaskammeranspielungen die Aufarbeitung der deutschen Geschichte nach Wagner ersetzen. Die hat längst begonnen.

Es ist unstrittig, dass Richard Wagner ein übler Judengegner gewesen ist, der seine Schrift „Das Judentum in der Musik“ nicht nur einmal unter Pseudonym 1850 veröffentlichte, sondern mit einem verschärften Nachwort 1869 ein zweites Mal und unter Klarnamen auflegte. Der Ton dieses Texts geht über den im 19. Jahrhundert üblichen, „salonfähigen“ Antisemitismus weit hinaus.

Die dunkle Seite des Komponisten

Auch was der vom Barrikadenstürmer zum Großbürger in Samtjacke und Barettkrone auf dem mächtigen Haupt Gewandelte sonst über Juden äußerte ist peinsam – seine Frau Cosima hat es in ihren Tagebüchern penibel notiert. Dieser Hass bleibt irritierend besonders für alle, die sich für die psychologisch ausgefeilten, klangmächtigen Musikdramen begeistern. Wagners suggestive Musik, seine ebenso unbestreitbaren Qualitäten der Menschendarstellung, verführen manchen, diese dunkle Seite des Komponisten herunterzuspielen.

Zwei Fragen beschäftigen die Forscher. In welchem Maße schlägt sich der Antisemitismus im Werk nieder? Gegenüber dem bayerischen König Ludwig II. hat Wagner seinen „Ring“ als „das der arischen Rasse eigentümlichste Kunstwerk“ bezeichnet. Gibt es klingende Beweise, dass der Zwerg Mime, der Nibelung Alberich oder der Beckmesser in den „Meistersingern“ jüdische Figuren sind, überzeichnet, zugespitzt in denunzierender Absicht? Es spricht vieles dafür, hier weitere Spurensuche zu betreiben, auch wenn solche Motive im Gesamtwerk einen Nebenaspekt darstellen.

Hitlers Lieblingsoper waren die „Meistersinger“

Dringlicher scheint vielen die Wirkungsforschung. Richard Wagner war nicht für den Holocaust verantwortlich, aber er steht für eine deutsche Geistestradition von Antisemitismus, die zu Auschwitz führte – und dort nicht endete. Leidvoll ist es bis heute immer wieder zu erfahren. Und eine von Adolf Hitlers Lieblingsopern waren nun einmal die „Meistersinger von Nürnberg“, der nationale Chauvinismus der Schlussszene prädestinierte das Stück für Festaufführungen bei den Reichsparteitagen in Nürnberg. Auch die stramm nationalsozialistischen Bayreuther Festspiele, die Beziehungen der Wagner-Familie zu Hitler (Onkel Wolf), werfen einen Schatten auf den Komponistennamen.

Es liegt nahe, all diese Fragen mit Mitteln der Kunst zu behandeln – der Düsseldorfer Versuch ist beileibe nicht neu. Gegenüber diesem hilflosen Beitrag gibt es seit mehr als 35 Jahren, von Patrice Chéreau bis Stefan Herheim, achtsame Ansätze produktiver Interpretationen. Gerade lief in Hamburg eine Vorstellung von Peter Konwitschnys elf Jahre alter „Meistersinger“-Inszenierung. Bei den Zeilen „Zerfällt erst deutsches Volk und Reich,/in falscher welscher Majestät/kein Fürst bald mehr sein Volk versteht“ wird die Aufführung unterbrochen, entspinnt sich auf der Bühne eine kurze Diskussion über Sinn und Unsinn dieser Stelle. Wenn dann der Schluss folgt, erklingen die „Heil“-Rufe im Halbdunkel. Erhellend schmerzlicher lässt sich das Leiden an Richard Wagner, lässt sich seine Größe kaum darstellen. Sicher ist: mit ihm haben die Deutschen noch nicht abgeschlossen.