20 Jahre nach dem Völkermord hat sich Ruanda erstaunlich gut entwickelt. Die wohl schwierigste Aufgabe ist nun, Opfer und Täter zusammenzubringen. Der Westen muss Ruanda jetzt mit allen möglichen Mitteln unterstützen, fordert StZ-Korrespondent Johannes Dieterich.

Johannesburg - An Ruanda denken heißt, sich an die Brust zu schlagen. Auch 20 Jahre nach Beginn der blutigsten hundert Tage der Menschheit, in denen mehr als achthunderttausend Ruander mit Macheten, Knüppeln oder Feldhacken niedergemetzelt wurden, ist der Mea-Culpa-Chor wieder zu hören: Ex-Präsident Bill Clinton bereut, dass er das eine Intervention erzwingende G-Wort (für Genozid) viel zu lange unterdrückte; der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan bereut, dass er, statt zusätzliche Blauhelme ins Völkermordland zu schicken, auch noch die wenigen dort stationierten zurückzog; und Journalisten bereuen, dass sie die Welt nicht besser und leidenschaftlicher über den „afrikanischen Holocaust“ informierten. Und das alles zu Recht. Die Art und Weise, wie die Welt auf den Ausbruch des von langer Hand geplanten Massenmords reagierte, war das schlimmste Versagen der internationalen Gemeinschaft, seit man von einer solchen redet.

 

Wären auch nur einige Zehntausend Friedenssoldaten in den zentralafrikanischen Kleinstaat entsandt worden, sie hätten die Bauern in ihrem Blutrausch stoppen können – zumindest wären zahllose Leben gerettet worden. Daran sollten die Regierungschefs denken, wenn sie heute wieder zögern, Friedenstruppen etwa in die Zentralafrikanische Republik zu schicken.

Die wohl schwierigste Aufgabe: Opfer und Täter zusammenzubringen

Mit dem An-die-Brust-Schlagen ist es aber nicht getan. Ruanda sah sich nach den hundert Horrortagen vor die wohl schwierigste Aufgabe eines Staatswesens gestellt: Opfer und Täter zusammenzubringen. Und nach Massakern aus Rache, die die Tutsi-Rebellengruppe RPF an den Hutu begangen hat, ist das heute, 20 Jahre nach dem Völkermord, gut gelungen. Was damals niemand zu träumen gewagt hätte: in dem knapp zwölf Millionen Einwohner zählenden Staat leben Tutsis und Hutus zusammen, ohne dass es zu lebensbedrohlichen Konflikten kommt. Nicht selten sitzen Opfer und Täter heute gemeinsam unter Bäumen, um über vergangene Gräuel und die gemeinsame Zukunft zu reden.

In mancher Hinsicht ist Ruanda ein Land, das in Afrika seinesgleichen sucht: Die Wirtschaft wächst, die Bevölkerung genießt eine beispiellose Gesundheitsversorgung, ihr visionärer Präsident will aus dem Agrarstaat ein afrikanisches Singapur machen. Selbst Hutus räumen ein, dass es ihnen unter der Herrschaft des Tutsi-Präsidenten Paul Kagame zumindest ökonomisch besser als jemals zuvor geht.

Kagame führt das Land mit viel zu festem Griff

Freilich hat der Ex-Rebellenchef auch seine Schattenseiten. Kagame führt das Land mit viel zu festem Griff: Er verbietet Oppositionsparteien, schränkt die Pressefreiheit ein und lässt womöglich auch Renegaten aus der eigenen Partei umbringen. Experten sprechen von einer „Entwicklungsdiktatur“ – womit sie immerhin einräumen, dass der Staatschef sich nicht selbst bereichert, sondern am anvisierten Wohl des Landes arbeitet.

Kagames Radikalität erklärt sich aus dem Trauma eines in seiner Existenz infrage gestellten Volkes. Psychologen wissen, dass man solche seelischen Erschütterungen in Garantien einbetten muss. Dazu gehört, dass auch die letzten, noch immer unbehelligt in westlichen Staaten lebenden Killer hinter Gittern kommen. Und dass die von dem Deutschen Martin Kobler geführte UN-Mission im Kongo endlich auch die dort nach wie vor marodierenden Hutu-Milizionäre entwaffnet und nach Hause schickt. Entscheidend ist aber auch, eine Kernschmelze im ruandischen Schwesternstaat Burundi zu verhindern: Dort droht sich der Konflikt zwischen Hutu-Mehrheit und Tutsi-Minderheit erneut gewalttätig zu entladen.

Für den Westen heißt das: Ruanda mit allen nur möglichen Mitteln zu unterstützen und nicht unter Druck zu setzen. Zumindest das sind wir den schon einmal alleingelassenen Opfern schuldig.