Am Samstag werden zwei neue S-Bahn-Linien eingeweiht, dazu kommt der Nachtverkehr. Ein Grund zum Feiern also? Nicht nur, meint der StZ-Redakteur Thomas Durchdenwald. Das Angebot muss beständig ausgeweitet werden.

Stuttgart - Wie Jagdtrophäen hängen die Schilder von Jungfernfahrten neuer S-Bahnen an der Wand im Sitzungssaal des Verbands Region Stuttgart. Nun kommen zwei neue hinzu – die für die Verlängerung der S 4 nach Marbach und die für die Tangentiallinie S 60 zwischen Böblingen und Renningen, die beide am Samstag eingeweiht werden. Dass an diesem Wochenende zugleich die S-Bahnen erstmals durchgängig nachts fahren, lässt die Anhänger des öffentlichen Nahverkehrs frohlocken. Das sei ihnen gegönnt, sie werden so rasch nichts mehr zu feiern haben.

 

Unbestritten ist nämlich, dass sich trotz aller Verkehrsprobleme in den nächsten Jahren das Tempo des Ausbaus der S-Bahn im Ballungsraum schon aus finanziellen Gründen verlangsamen wird. Die Verlängerung der S 2 nach Neuhausen auf den Fildern und die Einbindung des Kreises Göppingen ins S-Bahn-Netz sind die beiden einzigen Zukunftsprojekte, die aus heutiger Sicht eine Chance haben, realisiert zu werden. Der Zeithorizont weist ins nächste Jahrzehnt. Doch nicht nur deshalb bedeutet die heutige Einweihung eine Zäsur.

Viele Fahrgäste werden die Lobreden als Hohn empfinden

Erstmals wird das sternförmig auf Stuttgart zulaufende Netz der S-Bahnlinien im Norden und im Westen der Region durch Querverbindungen ergänzt. Sie sorgen nicht nur dafür, dass die Verbindungen direkter und attraktiver werden, sie entlasten auch das Nadelöhr Stuttgart, das den S-Bahn-Verkehr immer öfter aus dem Takt bringt. Zurecht beschweren sich die Fahrgäste, dass im morgendlichen Berufsverkehr Verspätungen zum Fahrplan gehören; und zurecht wächst das Unverständnis darüber, dass die Bahn keine Bereitschaft zeigt, dies endlich zu ändern. Wenn am Samstag bei den Einweihungen vom attraktiven Nahverkehr gesprochen wird, werden viele S-Bahn-Fahrgäste diese Worte ob der aktuellen Probleme als blanken Hohn empfinden – man kann sie nur zu gut verstehen.

Deshalb sollte der Verband Region Stuttgart, der für die S-Bahn zuständig ist, aus der Not, dass neue Strecken erst in einigen Jahren zu realisieren sind, eine Tugend machen – nämlich die, das Angebot zu sichern und es beständig zu erhöhen. Mit dem Nachtverkehr am Wochenende ist ein Anfang gemacht, auch wenn die unterschiedlichen Anschlüsse in den Kreisen – mal Bus, mal Taxi, mal mit, mal ohne Zuschlag – alles andere als benutzerfreundlich sind. Damit holt die Region zudem nur das nach, was in anderen Metropolen, mit denen sich Stuttgart so gerne vergleicht, längst Alltag ist.

Die Strukturen müssen verändert werden

Viele weitere Aufgabenfelder sind zu beackern: das in manchen Teilen verwirrende Tarifsystem, die mangelhaften Verknüpfungen mit anderen Verkehrsverbünden, die Integration des öffentlichen Nahverkehrs in ein Mobilitätssystem mit anderen Verkehrsmitteln und nicht zuletzt das Verhältnis zur Bahn AG, die sich als Betreiberin der S-Bahn und als Bauherrin der teurer gewordenen Strecken nicht mit Ruhm bekleckert. Da ist es schon ein deutliches Signal, dass die Region bei der neuen S 2 mit der Stuttgarter Straßenbahnen AG anbandeln will.

Auf dem Weg zu einem attraktiveren Nahverkehr müssen aber auch die Strukturen ins Visier genommen werden. Sie sind in der Region so vielfältig, dass zu viele Anstrengungen darauf verwendet werden, kleinlich eigene Zuständigkeiten zu behaupten, statt mit gemeinsamen Lösungen eine Verbesserung für die Menschen zu erreichen, deren Aktionsradius in Beruf und Freizeit nicht an Stadt- und Kreisgrenzen haltmacht. Trotz aller Querschüsse aus den Landratsämtern und dem Stuttgarter Rathaus ist die grün-rote Landesregierung gefordert, die Kompetenzen jetzt zu klären. Dabei liegt es nahe, der Region zumindest im Schienenverkehr mehr Zuständigkeiten zu geben. Der öffentliche Nahverkehr ist regional so vernetzt, die Investitionen sind so gewaltig, dass Lösungen nur in regionaler Solidarität zu stemmen sind.