Die Abschaffung der Grenzkontrollen ist eine der größten Leistungen der EU gewesen. Doch diese Errungenschaft ist in Gefahr. Das Ende der Grenzenlosigkeit droht, warnt der Brüsseler StZ-Korrespondent Christopher Ziedler.

Brüssel - Nicht jeder kennt das luxemburgische Städtchen Schengen. Jeder aber weiß, dass dort der Anfang vom Ende der Schlagbäume in Europa besiegelt wurde. Wer heute im Schengen-Raum eine Grenze passiert, merkt das nur, weil die Schilder an der Straße anders aussehen oder diese plötzlich beleuchtet ist. Es ist eine gewaltige Errungenschaft, über die alten Kampflinien aus zwei Weltkriegen mit Tempo 140 fahren zu können – so gewaltig, dass Europas Bürger sie im Gegensatz zu anderen in der größten Krise der Europäischen Union nicht infrage stellen.

 

Die Politik schon. Im Wahlkampfmodus waren die Regierungen Dänemarks und Frankreichs 2011 bereit, die Grenzen wieder dicht zu machen – einseitig, ohne Absprache. Die einen wollten die Kriminalität besser bekämpfen. Die anderen wollten sich gegen afrikanische Flüchtlinge abschotten, die Italien ins Land gelassen und mit Schengen-Visa ausgestattet hatte.

Dieser Angriff auf die Reisefreiheit in Europa ist erst einmal abgewehrt. Nicht nur, dass beide Regierungen abgewählt wurden. Es gibt auch ein neues Gesetz, das nationale Willkür unterbindet. Es lässt den Mitgliedstaaten zwar weiter freie Hand, wenn sie bei sportlichen wie politischen Großereignissen oder wenn Gefahr im Verzug ist, für wenige Tage Passkontrollen einzuführen. Dies aus anderem Grund oder über längere Zeit zu tun, erfordert aber die Zustimmung weiterer Regierungen. Und die EU-Kommission bewertet, ob es denn einen Grund für Kontrollen gibt. Es ist das einzig Positive, das sich über die Reform sagen lässt, die die EU-Innenminister jetzt in Luxemburg-Stadt – nur 20 Kilometer von Schengen entfernt – beschlossen haben.

Maximale Abschottung nach außen

Dass überhaupt eine dritte mögliche Ausnahme von der Reisefreiheit definiert wird, zeigt, wohin die Reise geht. Kommt ein Land dauerhaft seinen Verpflichtungen an einer EU-Außengrenze nicht nach, können andere im Schengen-Raum wieder kontrollieren. Was wie ein unwahrscheinliches Szenario klingen mag, hat einen realen Hintergrund: Griechenland schafft es nicht, die Landgrenze zur Türkei abzudichten, was nicht zuletzt die Bundesregierung verlangt. Denn die Unterbringung in Griechenland ist so schlecht, dass die meisten Flüchtlinge schnell weiterziehen. Der nun vereinbarte „Ausnahmefall“, dem nächste Woche noch das Europaparlament zustimmt, ist schon Realität.

Der Preis für die Freiheit im Innern ist die maximale Abschottung nach außen. Es passt ins Bild, dass die Minister auch das gemeinsame EU-Asylsystem abgesegnet haben, das kaum positive Akzente für den Flüchtlingsschutz enthält und eigentlich gemeinsames Asylabwehrsystem heißen müsste. Neu ist, dass die Flüchtlinge Unfreiheit in Europa rechtfertigen sollen.

Innenminister Friedrich rüttelt an der Freizügigkeit

Die Freizügigkeit der EU-Bürger hat es in der Krise schwerer als die grenzenlose Beweglichkeit von Kapital, Waren und Dienstleistungen in Europa. Es ist kein Zufall, dass besonders viele Vertragsverletzungsverfahren laufen, weil die Staaten die EU-Freizügigkeitsrichtlinie unterlaufen.

2010 waren es die Roma, die Frankreich nicht haben wollte, obwohl sie EU-Bürger Rumäniens und Bulgariens sind. Nun kommen von dort mehr Menschen nach Deutschland – was in einigen Städten zu sozialen Problemen und Mehrkosten führt. Dabei ist die Richtlinie klar: Länger als drei Monate darf nur bleiben, wer Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Student ist sowie für sich und seine Familie sorgen kann. Das schließt Sozialhilfe in der Theorie aus, ist in der Praxis aber schwer zu kontrollieren. Es wäre dennoch besser, geltendes Recht strenger umzusetzen, statt wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich Wiedereinreisesperren verhängen zu wollen und am Grundsatz der Freizügigkeit zu rütteln.

Es passt leider in die Zeit – die Grenzen der Grenzenlosigkeit sind in Sicht. Es wäre leichtfertig, sie zu überschreiten.