Die Regierungsbildung in Kiel wird kompliziert – ein Vorgeschmack auf 2013? Eine Analyse von Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Sigmar Gabriel wird die Wahl in Schleswig-Holstein unter der Rubrik „ziemlich durchwachsen“ abbuchen. Der SPD-Chef kann sich freuen, dass seine Partei an Stimmen zugelegt hat. Der Sozialdemokrat Torsten Albig hat Chancen, Ministerpräsident zu werden. Ein weiteres Mal ist eine schwarz-gelbe Koalition abgewählt worden. Das hebt die Stimmung der SPD beim Blick auf die Bundestagswahl 2013. So weit die guten Nachrichten aus Sicht der Sozialdemokraten. Das Wahlergebnis in Schleswig-Holstein hat allerdings seine Widerhaken. Es wirft für die SPD – wie auch für andere Parteien – eine Reihe von Fragen auf, deren Beantwortung die Strategien bis zur Entscheidung auf Bundesebene bestimmen wird.

 

Da ist zum Ersten die Stärke von Rot-Grün. Noch vor einem Jahr hofften Sozialdemokraten und Grüne auf einen bundesweiten Durchmarsch Richtung 2013 – vorangetrieben von den in Umfragen immer stärker werdenden Grünen. In Kiel reicht es trotz Zuwächsen für beide Parteien nicht zu einer rot-grünen Koalition. Bei Weitem nicht. Sie sind auf Unterstützung durch einen Dritten angewiesen. Für die Bundestagswahl 2013 wird deshalb an SPD wie Grüne die Frage mit erhöhter Dringlichkeit gestellt werden: Mit wem als drittem Partner wollen sie denn koalieren, um Angela Merkel (CDU) abzulösen? Mit der vornehmlich um sich selbst kreisenden Linkspartei? Mit ihren Lieblingsgegnern von der FDP? Mit den unberechenbaren Piraten?Damit ist das zweite Generalthema aufgerufen: Der Wahltag in Schleswig-Holstein bestätigt den bereits in Berlin und im Saarland spürbaren Trend, dass sich das Parteiensystem weiter auffächert. Die FDP liegt nicht, wie von vielen bereits vermutet, auf dem Sterbebett. Sie kann sich, das hat der eigenwillige Wolfgang Kubicki demonstriert, als parlamentarische Kraft behaupten, wenn sie mit wahrhaft liberalem Geist, interessantem Personal und richtig gesetzten Inhalten antritt. Gelingt dem Liberalen Christian Lindner am kommenden Sonntag in Nordrhein-Westfalen ein ähnlicher Erfolg, wird die Strategie- und Personaldebatte in der FDP auch auf Bundesebene neu anheben – mit der Chance, sich für 2013 neu aufzustellen.

Die Piraten mischen das Parteiensystem weiter auf

Die Versuche der Altparteien, die Piraten als inhaltsleer bis gefährlich abzustempeln, hat die Wähler nicht geschreckt – ebenso wenig wie die Aussicht auf unübersichtliche Mehrheitsverhältnisse. Die junge Partei zieht in das dritte Landesparlament ein. Alles deutet darauf hin, dass Nordrhein-Westfalen der vierte Streich wird. Damit sichern sich die Piraten eine politische und organisatorische Basis, die auch einen Erfolg auf Bundesebene immer wahrscheinlicher macht. Im neuen Bundestag könnten bis zu sieben Parteien sitzen: CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP, Linkspartei und die Piraten. Ein stabiles Zweierbündnis zwischen einer größeren und einer kleineren Partei ist dann vermutlich nicht nur für Rot-Grün unmöglich. Auch Schwarz-Gelb ist nach Lage der Dinge schwer vorstellbar. Als Alternativen stünden – wie jetzt in Kiel – nur noch komplizierte Dreierkoalitionen wie die Ampel (Rot-Gelb-Grün) oder Jamaika (Schwarz-Grün-Gelb) zur Verfügung – und die Große Koalition. Was lange als bedenklicher Ausnahmefall galt, könnte im Jahr 2013 erneut zur einzig tragfähigen Konstellation werden. Für die SPD, die dann schon wieder die Rolle des Juniorpartners von Angela Merkel übernehmen müsste, ist das eine Horrorvorstellung.

Orientiert sich Sigmar Gabriel am Sieger Hollande?

Das Ergebnis in Schleswig-Holstein lenkt den Blick noch auf einen dritten Aspekt: Zahlt sich Sparpolitik machtpolitisch aus? Das schwarz-gelbe Kabinett in Kiel war die erste Regierung in Deutschland, die sich nach einem durch die Finanz- und Wirtschaftskrise erzwungenen Kürzungsprogramm zur Wiederwahl stellte. Sie wurde abgewählt. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat sich von Anfang an allen Sparappellen verweigert und die Verschuldung ihres Landes weiter hochgetrieben. Sie ist heute zwischen Rhein und Ruhr beliebter als Johannes Rau zu seinen besten Zeiten.

Wird Kraft in diesem Kurs durch eine Wiederwahl bestätigt, dürfte auch die SPD-Spitze unter Druck geraten. Bleibt Sigmar Gabriel dann standhaft, wird er dem Konsolidieren weiter Vorrang einräumen? Oder nimmt er sich dann doch lieber ein Beispiel am Franzosen François Hollande, der es mit teuren Wahlversprechen, deren Finanzierung schleierhaft blieb, bis in den Élysée-Palast geschafft hat.