Die Krise scheint zumindest gebändigt: die weltweiten Firmenkäufe boomen wieder wie vor der Lehman-Pleite. Doch nicht alles Fusionen sind klug, kommentiert der StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs. Das zeigt das Beispiel Siemens/Alstom.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Wer in diesen Tagen den Wirtschaftsteil der Zeitungen aufschlägt, fühlt sich an den Anfang der 2000er Jahre zurückversetzt. Beinahe täglich ist von Fusionen und Übernahmen die Rede. Firmenchefs und Investmentbanker halten Ausschau nach lohnenden Zielen, weiße Ritter werden gesucht von Firmen und Regierungen, um sich gegen feindliche Übernahmen zu wappnen. Ungeachtet der Ukraine-Krise streben die Börsen neuen Höchstständen entgegen: Das Fieber ist zurück.

 

Das Volumen der weltweit für dieses Jahr angekündigten Fusionen und Akquisitionen liegt schon jetzt bei mehr als einer Billion Dollar und nähert sich damit Werten aus den Jahren 2000 oder 2006/2007, als vor der Lehman-Krise die Finanzwelt noch boomte. Nur drei Beispiele: die Baustoffunternehmen Holcim und Lafarge wollen zum weltgrößten Zementkonzern fusionieren; der US-Pharmakonzern Pfizer will sich für 100 Milliarden Dollar den Wettbewerber Astra-Zeneca einverleiben; und der US-Riese General Electric konkurriert mit seinem Rivalen Siemens um die Herrschaft bei dem französischen TGV- und Turbinenhersteller Alstom.

Vom Abwehr- in den Angriffsmodus

Grundsätzlich ist diese Renaissance der Übernahmen eine gute Nachricht. Sie zeigt, dass die Unternehmen, die in den vergangenen Jahren vielfach mit Restrukturierungen, Personalabbau und der Sicherung ihrer Finanzkraft beschäftigt waren, wieder vom Abwehr- in den Angriffsmodus schalten. Das Vertrauen in die Zukunft ist zurück, was auch für die Finanzinstitute gilt, die solche Übernahmen ermöglichen. Historisch niedrige Zinsen und prall gefüllte Kassen der Unternehmen schlagen sich nicht nur in höheren Investitionen und Ausgaben für Forschung und Entwicklung nieder, sondern auch in dem Bemühen, wieder extern zu wachsen. Allerdings, und das ist die Kehrseite, haben die Exzesse des Übernahmefiebers auch gezeigt, dass nicht wenige Akquisitionen eher dem Ego des Firmenchefs als dem Unternehmenserfolg dienten und dass sich die Visionen später oft als teurer Klotz am Bein entpuppten.

Wenn Siemens also nun ein offizielles Angebot für Alstom vorlegt, sollten nicht nur der Aufsichtsrat, sondern auch die Bundesregierung und die Kartellbehörden sehr genau hinschauen. Denn aus Siemens-Sicht ist völlig unklar, warum aus dem einstigen Sanierungsfall, den weiland Frankreichs ehemaliger Staatschef Nicolas Sarkozy vor dem Exitus retten musste, die Perle geworden sein soll, die man unbedingt vor dem Zugriff eines amerikanischen Wettbewerbers schützen muss.

Ein Prüfstein auch für die Bundesregierung

Der Zugang zum französischen Markt, der immer wieder als Grund kolportiert wird, ist heute jedenfalls nicht mehr annähernd so wichtig wie vor zehn Jahren, als Siemens schon einmal versuchte, Alstom zu kaufen. Siemens-Chef Joe Kaeser wollte nächste Woche der Öffentlichkeit die künftige Siemens-Strategie erläutern. In ihr hätte Alstom – aus gutem Grund – wohl keine Rolle gespielt.

Auch für die Bundesregierung ist die geplante Übernahme, die ja im Wesentlichen aus einem Tauschgeschäft von unterschiedlichen Geschäftsbereichen besteht, ein Prüfstein. Frankreichs Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg will die Erfolgsgeschichte Airbus fortschreiben, und auch sein deutscher Amtskollege Sigmar Gabriel freut sich über einen potenziellen europäischen Champion. Doch Airbus ist gegründet worden, um ein amerikanisches Monopol in der Luftfahrt aufzubrechen. Und noch heute tut sich die Unternehmensführung schwer, deutsch-französische Doppelstrukturen abzubauen und den Einfluss der Politik zu beschränken. Die Zusammenlegung der Zugsparten von Siemens und Alstom würde hingegen faktisch einen europäischen Monopolisten im Schienenfahrzeugbau schaffen. Und daran können die Kartellwächter und die Politik im Ernst kein Interesse haben.