StZ-Redakteur Mirko Weber über die Macht und ihren Missbrauch durch alternde Männer wie dem kürzlich angeklagten Dominique Strauss-Kahn.  

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - In der Ballszene von Mozarts "Don Giovanni", einer Oper, die mit einer mutmaßlichen Vergewaltigung durch den Titelhelden beginnt und mit der Höllenfahrt eines Gottlosen endet, kommt es zu einem musikalisch irritierenden Moment. Drei verschiedene Tanzrhythmen schieben sich übereinander. Natürlich hätte Mozart - Genie, das er nun mal war - dies elegant verhindern können, aber Verschleierung hatte er nicht im Sinn: im Widerstreit von Viertel- und Achtelzählzeiten also, die sich hier auf die Zehen treten, gerät auch jenes Gesellschaftsmodell außer Tritt, von dem Don Giovanni existenziell zehrt. Beständig darf er als Adliger bei seiner Suche nach sexuellen Abenteuern ignorieren, dass nicht jeder Wunsch zur Wirklichkeit werden kann. Lustgewinn verschafft er sich notfalls mit Gewalt, und es muss - Dank sei der Bauernmagd Zerlina! - erst jemand richtig schreien, bis auffällt, was hier dauernd für eine machtgeschützte Sauerei im Gang ist. Mozart und sein Librettist da Ponte hatten das richtige Gespür: wenig später begann die Französische Revolution.

 

Dass einem Don Giovanni beim Nachdenken über den Fall des Machtmenschen Dominique Strauss-Kahn fast zwangsläufig in den Sinn kommt, hat - neben etlichen anderen Parallelen - auch mit dem Ende des Werks zu tun. Da finden sich nämlich alle Geschädigten wieder und feiern in der Tradition des Barocktheaters wortreich ihren vermeintlichen Sieg ("Dies ist das Ende dessen, der Böses tut!"). Tatsächlich bekennen sie im selben Augenblick aber auch ihre Niederlage: Waren sie nicht alle allzu bereit gewesen, das (teils grausame) Spiel des Verführers mitzuspielen?

Wie ein "brünstiger Schimpanse" agiert

Wie es hierzulande um Schein und Sein auf höherer gesellschaftliche Ebene unter anderem bestellt sein kann, hat die Causa Guttenberg gezeigt. Mittlerweile ist der zeitweise schon selbstverständlich fürs zweithöchste Staatsamt gehandelte Mann als relativer geistiger Bankrotteur entlarvt. Andererseits galt, dass wer vor einem halben Jahr leise etwas gegen den Inszenierungsstil des Barons und schon früher erkennbare Blendetechniken einwenden mochte, leicht unter Querulantenverdacht kam. Auf tieferem Niveau und einem seltsamen nationalen Komment folgend, ist die französische Öffentlichkeit mit dem sexuellen Gebaren von Dominique Strauss-Kahn umgegangen. Es musste erst zu den immer noch widersprüchlich interpretierten Übergriffen in einem New Yorker Hotel kommen, bis hörbar eingestanden wurde, dass DSK öfter wie ein außer Kontrolle geratener "brünstiger Schimpanse" agiert habe. Eine entsprechende Passage aus einer neuen Biografie über ihn ist unlängst noch vor dem Druck entfernt worden, nachdem Strauss-Kahns Medienberater insistiert hatte.

Alternde, mächtige Männer gestatten sich seit jeher gerne, was für Frauen in vergleichbaren Positionen - so sie dort hingelangt sind - gesellschaftlich undenkbar wäre. Folgte Angela Merkel mit Geliebtem und Seitensprungskind dem Seehoferschen Modell, müsste sie sich eine andere Arbeit suchen, die schwer zu finden sein dürfte. Und bitte, das ist jetzt nur ein ausgesucht harmloses Beispiel. Umgekehrt tragen Ehefrauen befremdlicherweise oft willig zumindest lange Zeit mit, was ihre Männer als lästige Problemfälle klein reden: nehmen wir Mitterand, der eine außereheliche Tochter hatte, die Straußens als Familienmauer des Schweigens, Arnold Schwarzenegger, der es auch auf Dienstboten abgesehen hatte, oder eben Seehofer. Dabei ist es sehr schwierig zu definieren, wo die prinzipiell nicht statthafte Einmischung ins Private anfängt. Bei Strauss-Kahn indes haben namentlich die französischen Medien schon länger viel zu "taktvoll" funktioniert. Überhaupt scheint sich in klassischen Machtzentren am uralten männlichen Don-Giovanni-Prinzip nicht viel geändert zu haben. Selten ist Kunst daraus geworden. Meist offenbart sich: üble Kumpanei.