Der Beschluss des Bahnaufsichtsrats, Stuttgart 21 weiterzubauen ist kein Grund, die Sektkorken knallen zulassen, findet der Chef der StZ-Lokalredaktion, Holger Gayer. Jetzt muss die Bahn endlich ein tragfähiges Konzept liefern.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

BERLIN/STUTTGART - Wenn dereinst ein bahntechnisch bewanderter Historiker die Geschichte von Stuttgart 21 nachzeichnet, wird dort der 5. März 2013 als ein wesentliches Datum aufscheinen. An diesem Dienstag hat der Bahn-Aufsichtsrat den Kostenrahmen um zwei Milliarden auf nunmehr 6,526 Milliarden Euro erhöht. Damit ist das Projekt – bis auf Weiteres – durchfinanziert. Die Bahn hat Planungssicherheit, die Arbeiten am Tiefbahnhof im Talkessel können fortgesetzt werden.

 

Wer aus diesen nüchternen Fakten einen Grund zum Feiern ableitet, dem sei dringend empfohlen, den vermeintlichen Siegestrunk im Keller zu lassen. Was am Dienstag in Berlin geschehen ist, war nichts anderes als ein Akt der Notwehr eines in Bedrängnis geratenen Aufsichtsrats. Letztlich hatten die Kontrolleure des größten Staatskonzerns der Republik kaum eine andere Möglichkeit, als den Scheck über weitere zwei Milliarden Euro zu unterschreiben. Sie sind unter Druck geraten, weil sich Planer, Buchhalter und Entscheider der Bahn haarsträubende Fehler geleistet haben. All die Missstände von Stuttgart 21 zu reparieren wird den Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Denn dass die jetzt genehmigten zwei Milliarden Euro Mehrkosten das Ende der Rechnung markieren, darf nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre getrost bezweifelt werden.

Mit der Schludrigkeit muss jetzt Schluss ein

Umso wichtiger ist es nun, die richtigen Schlüsse aus der verzwickten Lage zu ziehen. Mit seinem Votum hat der Aufsichtsrat das Signal gegeben, dass die Bahn zu ihrer Verantwortung steht und die Kosten für die Fehlleistungen des eigenen Personals bezahlt. Daraus resultiert aber auch die Selbstverpflichtung, dass Schluss sein muss mit der Schludrigkeit, dem Tricksen und dem Täuschen. Die Bahn muss künftig all ihre Pläne und Zahlen offen auf den Tisch legen und plausibel begründen, warum sie was tun will. Dies erfordert ein komplettes Umdenken von Leuten, die es bisher gewohnt waren, ihre Angelegenheiten hinter verschlossenen Türen zu regeln.

Auf der anderen Seite haben die S-21-Gegner im Gewande der Projektpartner Land und Stadt jetzt mehr denn je die Pflicht, das Projekt zu fördern. Sie müssen dabei nicht aus Überzeugung handeln; nach all den Vorkommnissen der vergangenen drei Jahre noch eine Empathie für Stuttgart 21 zu entwickeln fällt auch dem nachdenklichen Teil der Befürworter schwer. Gleichwohl ist es höchste Zeit, die Verantwortlichen in Stadt und Land daran zu erinnern, dass sie sich verpflichtet haben, Schaden vom Volk abzuwenden.

Die Bahn muss jetzt liefern

Nach der Entscheidung des Bahn-Aufsichtsrats heißt das konkret, dass auch Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn alles dafür tun müssen, dass der Tiefbahnhof möglichst sicher und möglichst günstig gebaut werden kann. Jetzt wieder und wieder auf Zeit zu spielen und ständig mit alten Einwänden in neuen Verpackungen aufzuwarten führt nur zu weiteren Verzögerungen – und damit zu weiteren Kosten.

Eine richtig verstandene Projektförderpflicht bedeutet aber nicht, dass die Bahn einen Persilschein von ihren Partnern erwarten darf, im Gegenteil. Gerade bei Stuttgart 21 muss sie mit besonderer Sorgfalt zu Werke gehen – etwa wenn es gilt, den Vorschriften des Brandschutzes zu genügen. Die Rollenverteilung dabei ist klar: Die Bahn hat als Bauherrin ein genehmigungsfähiges Konzept zu liefern, die Kontrollbehörden, ob im Rathaus, im Regierungspräsidium oder beim Eisenbahn-Bundesamt, haben dasselbe zu prüfen – und im Zweifel auch abzulehnen. Letzteres dann wieder auf Kosten der Bauherrin. Denn auch wenn die Bahn das trotz des jetzt erfolgten Aufsichtsratsbeschlusses anders sieht und juristisch klären will, inwieweit die Projektpartner an den Mehrkosten zu beteiligen sind: Tatsache ist, dass es sich bei Stuttgart 21 um ein Projekt der Bahn handelt. Sie baut. Und sie bezahlt.