Die Bahn hat die Kosten für die ICE-Strecke Wendlingen–Ulm schöngerechnet. Ihre Glaubwürdigkeit ist erschüttert, meint StZ-Lokalchef Achim Wörner.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Wer gedacht hatte, der Streit über Stuttgart 21 würde sich irgendwann schon beruhigen, sieht sich im Moment eines Besseren belehrt. Mit wieder zunehmender Härte begegnen sich Anhänger und Gegner des Projekts – im Übrigen bis hinein in die bei diesem Thema so uneinige grün-rote Landesregierung. Überraschend ist dies nicht, schließlich steht die Deutsche Bahn AG als Bauherrin unmittelbar vor der Vergabe weiterer millionenschwerer Aufträge. Damit würden Fakten geschaffen, die einen von den Grünen betriebenen Ausstieg wenn nicht unmöglich, so doch immer teurer machten. Und ausgerechnet in dieser wichtigen Phase gerät der Verkehrskonzern nun selbstverschuldet schwer in Bedrängnis. Die Vorwürfe sind ebenso massiv wie ernsthaft: Sie reichen von der Mauschelei bis hin zur Täuschung der Öffentlichkeit und der Parlamente.

 

Dabei war die Bahn, die seit Jahren über das Baurecht für den Tiefbahnhof verfügt, auf gutem Weg bei Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. Die bereits im Bau befindliche ICE-Trasse über die Alb ist im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung verankert. Die Planungen für Stuttgart 21 selbst haben bisher allen juristischen Anfechtungen standgehalten. Und der Stresstest für die Neuordnung der Gleiswege fällt zumindest nach Lesart des Schienenkonzerns positiv aus. Doch plötzlich rücken wieder Fragen in den Mittelpunkt der Debatte, die die Bahn erheblich unter Druck setzen: nämlich die nach den Kosten, nach der Seriosität der Kalkulation und – unvermittelt – auch nach der demokratischen Legitimation der Großprojekte.

Bahn hat Transparenz vermissen lassen

Gewiss, die Vorgänge, um die es geht, liegen teilweise viele Jahre zurück, etwa dass die Bahn Stuttgart 21 schöngerechnet haben soll. Zwar ist nachvollziehbar, dass innerhalb eines Konzern unterschiedliche Zahlen kursieren, je nach Projektstand und abhängig auch von der Betrachtungsweise. Risikoszenarien zu entwickeln gehört nachgerade zur Aufgabe der Manager. Notwendig wäre es aber auch gewesen, der Öffentlichkeit und den Parlamenten die Bandbreite dieser möglichen Kosten offenzulegen – nicht zuletzt, um fundierte Entscheidungen über den Einsatz von Steuergeldern treffen zu können. Doch die Bahn hat jede Transparenz vermissen lassen.

Skandalöses Geschäftsgebaren

Gravierender noch sind die Vorgänge um die Neubaustrecke. Protokolle belegen, dass ein heute noch aktiver Bahnmanager schwer mit der damaligen Landesregierung gekungelt hat, um die Aufnahme der Schnellbahntrasse nach Ulm in den Bundesverkehrswegeplan, die Hitliste aller Projekte in Deutschland, nicht zu gefährden. Erschwerend kommt hinzu, dass maßgebliche Informationen zu Lasten eines Dritten unterdrückt wurden, nämlich zu Lasten des Bundes als Finanzier. Dies offenbart ein skandalöses Geschäftsgebaren: Die Bahn hat ihren eigenen Eigentümer hintergangen. Und dieser Tatbestand bleibt, auch wenn die Entscheidung für die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm in späteren Jahren auf verschiedenen Ebenen mit aktualisiertem Preisstand bestätigt worden ist.

Nun haben sich mit dem Einzug von Bahn-Chef Rüdiger Grube vor zwei Jahren die Verhältnisse geändert. Nicht nur, dass er den Vorstand des Konzerns runderneuert hat. Auch bei Stuttgart 21 weht seither ein anderer Geist: Grube war es, der gleich bei Amtsantritt den Kassensturz veranlasst hat, der den Bau vor mehr als einem Jahr begonnen hat, der sich aber auch um eine bis jetzt nicht gekannte Offenheit bemüht, die unter anderem im Rahmen der Geißler’schen Schlichtung zum Ausdruck gekommen ist. Jetzt steht eine besondere Nagelprobe an, da ihn die Schatten der Vergangenheit und seines Vorgängers Hartmut Mehdorn einholen. Wer garantiert, dass die heute öffentlich bekannten Kosten dem aktuellen Stand entsprechen? Die Glaubwürdigkeit ist erschüttert. Und Rüdiger Grube hat eine Aufgabe: lückenlose Aufklärung.