Wolfgang Schuster steht dem Protest hilflos gegenüber. Er scheitert in seiner Aufgabe als Mittler zwischen S21-Befürwortern und Gegnern.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)
Stuttgart - Bisweilen ist die Macht des Bildes größer als die des Wortes. Professionelle Politiker wissen längst, dass es nicht nur darauf ankommt, was sie verkünden, sondern auch wie sie es tun. Der Prototyp dieser Sorte von Gestenpolitikern heißt Gerhard Schröder. Dem Sozialdemokraten gebührt die Ehre, als erster Medienkanzler in die Geschichte Deutschlands eingegangen zu sein. Der Gegenentwurf ist in Stuttgart zu finden: Wolfgang Schuster.

Seit seinem Amtsantritt im Jahre 1996 nimmt der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt für sich in Anspruch, ein Mann mit Prinzipien zu sein. Auch in der hitzigen Debatte über das umstrittenste Projekt der jüngeren Stadtgeschichte beweist Schuster immer wieder, dass er nicht nur einen Standpunkt hat, sondern dass dieser auch unverrückbar ist. Seine Überzeugung unterfüttert der Schultes mit dem Hinweis darauf, dass Stuttgart 21 von allen dafür zuständigen Parlamenten - Bundestag, Landtag, Regionalversammlung und Gemeinderat - stets mit großer Mehrheit beschlossen worden ist. In einer repräsentativen Demokratie sind diese Voten bindend. Obwohl ein Oberbürgermeister direkt gewählt wird, hat er eben nicht nur Sitz und Stimme im Stadtparlament, sondern auch die Pflicht, die Beschlüsse desselben mitzutragen.

Schuster scheitert, weil er nicht mit den Menschen spricht


Im Fall von Stuttgart 21 weiß Schuster zudem die Judikative auf seiner Seite. In keinem einzigen Verfahren, das die Gegner angestrengt haben, ist die Rechtmäßigkeit des Milliardenprojektes auch nur ansatzweise infrage gestellt worden. Und trotzdem gerät die Stadt aus den Fugen. Das hat damit zu tun, dass sich einige Fakten, vor allem die Kosten, seit den Beschlüssen der Gremien erheblich verändert haben. Diese Veränderungen hat Schuster bisher nur aus der Perspektive des Projektträgers und unter dem Motto "Augen zu und durch" betrachtet. Er ist aber auch Oberbürgermeister der Gegner - und muss moderieren.

Letztlich scheitert der erfahrene Kommunalpolitiker, weil er nicht mit den Menschen spricht. Schuster findet weder den richtigen Ton noch die richtigen Gesten, um als Mittler zwischen den aufgebrachten und tief in Projektbefürworter und Projektgegner gespaltenen Bürgern aufzutreten. Wie ungeschickt er mit dem Protest gegen Stuttgart 21 umgeht, zeigte der Christdemokrat bereits vor sechs Jahren. Im Angesicht einer drohenden Wahlniederlage versprach er seinem Konkurrenten Boris Palmer damals, im Falle von deutlichen Mehrkosten für die Stadt einen Bürgerentscheid mitzutragen. Dass Schuster dieses Versprechen gebrochen hat, weil er erkannte, dass es aus juristischen Gründen nicht zu halten war, haben ihm nicht nur die Grünen nie verziehen. Dass sich der OB drei Jahre später weigerte, 67.000 Unterschriften von Menschen anzunehmen, die trotzdem eine Bürgerbefragung erreichen wollten, wird ihm bis heute als Arroganz der Macht ausgelegt - zu Recht. Und wenn Schuster dann noch an just dem Tag, an dem der Abriss des Nordflügels beginnt, mit launigen Worten und einem Lächeln im Gesicht das Weindorf eröffnet, als wäre einige Hundert Meter entfernt nichts geschehen, dann muss er sich nicht darüber wundern, dass sich viele Tausend Bürger von ihm verhöhnt fühlen. Deutlicher konnte Schuster nicht zeigen, wie weit er sich von dem ihm unangenehmen Teil der Wirklichkeit entfernt hat.

Daher stellt sich natürlich die Frage, ob Wolfgang Schuster in seiner noch zweijährigen Amtszeit in der Lage sein wird, wieder das Oberhaupt in seiner Stadt zu werden. Dazu müsste er seine Überzeugung für Stuttgart 21 kombinieren mit einer Vision für die Stadt der Zukunft, in der sich wieder alle Bürger zu Hause fühlen könnten. Ob er das vermag? Am Tag vor dem jetzt begonnenen Abriss des Nordflügels haben die Projektträger von Stuttgart 21 jedenfalls einen anderen Oberbürgermeister gebeten, sich in einem offenen Brief an die aufgewühlten Menschen zu wenden: Manfred Rommel.