Die Welt hat den blutigen Bürgerkrieg in Syrien aus dem Blick verloren, kritisiert der StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer. Deshalb kann der Machthaber Assad seinen Vormarsch ungestört fortsetzen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Sich der Wirkung dieser Bilder zu entziehen ist unmöglich: Mit den Händen graben Feuerwehrleute in Aleppo einen Jungen aus den Trümmern eines Hauses. Eine dieser Fassbomben, mit denen die syrische Armee von Helikoptern aus die Bevölkerung terrorisiert, hat es zerstört. Der Junge hat überlebt, von Schutt und Staub übersät – seine Familie wohl nicht. Bilder von solchen Szenen sind wichtig, weil sie den Blick auf einen Krieg lenken, der in Vergessenheit zu geraten droht.

 

Die Weltgemeinschaft meint es gut mit Baschar al-Assad. Derzeit lässt sie sich von der Ukraine-Krise in den Bann ziehen und ignoriert dabei seinen Siegeszug in Syrien. Die westliche Diplomatie kümmert sich nur noch um den Brandherd in Osteuropa. Einen Großkonflikt mit Russland zu verhindern kostet offenbar alle Kraft. Wie soll man auch eine Waffenruhe für die Syrer erwirken, wenn dazu der gute Wille Moskaus benötigt wird? Ohne Wladimir Putin geht es nicht, doch der wird seinen Trumpf – den Einfluss auf Assad – nicht aus der Hand legen, ohne seine Expansionspolitik in der Nachbarschaft umgesetzt zu haben.

Assad lässt Fässer mit Chlorgas abwerfen

Für Assad bedeutet dies: solange die Ukraine-Krise schwelt, kann er mit Hilfe der libanesischen Hisbollah-Miliz seinen Vormarsch ungestört fortsetzen. Nachdem die Aufständischen aufgegeben haben, ist die Rebellenhochburg Homs wieder komplett in seiner Hand. Wer Assad dort noch gefährlich erscheint, hat wohl keine Gnade zu erwarten. Zwar hat das Regime fast sein gesamtes Chemiewaffenarsenal den UN-Inspekteuren überlassen, lässt aber nun Fässer mit Chlorgas über Feindesgebiet abwerfen. In hoher Dosierung ist dieser Stoff sehr giftig und unterliegt der Chemiewaffenkonvention; er ist jedoch nicht Teil des Vernichtungsabkommens mit den UN.

Die Vereinbarung zu den Chemiewaffen erweist sich als Assads zentraler Coup, um den Krieg für sich zu entscheiden. Die Opposition zerlegt sich selbst – bei Gefechten zwischen islamistischen Brigaden wurden 2014 schon mehr als 1000 Menschen getötet. Allenfalls im Norden und Osten können die Radikalen noch ihren Terror verbreiten. Somit zahlt Assad einen hohen Preis als Machthaber in einem auseinanderfallenden Staat. Doch sein Clan überlebt – dafür nimmt er die 150 000 Opfer des seit drei Jahren anhaltenden Krieges in Kauf.

Auf dem Schlachtfeld lässt sich das Blatt nicht mehr wenden

Dass der Mörder im Nadelstreifenanzug jetzt noch die internationalen Hilfsorganisationen zu einem größeren Einsatz für die Flüchtlinge ermuntert, gehört genauso zu den Absurditäten, die die Weltgemeinschaft unwidersprochen hinnimmt, wie die für den 3. Juni anberaumten Präsidentenwahlen. Was können diese anderes sein als eine Farce? Anerkennung werden sie Assad nicht bringen. Ihn dürfte es auch nicht stören, wenn die USA jetzt ihre Militärhilfe für die Syrische Nationale Koalition aufstocken. Eine wirksame Unterstützung der moderaten Oppositionellen kommt ohnehin mindestens ein Jahr zu spät. Auf dem Schlachtfeld lässt sich das Blatt nicht mehr wenden. Das Stückwerk der westlichen Regierungen erstaunt immer mehr. Die Annahme liegt nahe, dass sie es auf diesen Ausgang ankommen lassen, weil er ihr lieber ist als ein Erfolg der Islamisten.

Also kann es nur noch darum gehen, der Bevölkerung weiteres Elend zu ersparen. Doch was ist zu erwarten, nachdem auch die Bundesregierung den Blick von Syrien abgewandt hat? Selbst die Flüchtlinge, die – wie gerade in der östlichen Ägäis – weiterhin im Mittelmeer ertrinken, können die Apathie nicht durchbrechen. Die Bereitschaft Deutschlands, 10 000 Notleidende aufzunehmen, ist überaus dürftig, gemessen an den Leistungen der syrischen Nachbarländer. Die Stimmen mehren sich, deutlich mehr zu tun – auch der Bundespräsident fordert mit Recht intensivere Anstrengungen ein. Es wäre ja schon ein kleiner Fortschritt, wenn bei den Regierenden ein schlechtes Gewissen erkennbar wäre.