Der Bürgerkrieg in Syrien ist aus dem Blick der Weltöffentlichkeit fast verschwunden. Sie müsste viel mehr Anteil an dem Grauen in Syrien nehmen, fordert der StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Etwa 2800 Kilometer Luftlinie beträgt die Distanz von Stuttgart nach Damaskus. Vier Flugstunden von uns entfernt – quasi gleich hinter beliebten Mittelmeerstränden – dominiert unvorstellbare Grausamkeit: Hungertod, Folter und (Massen-)Mord. Dazu die Verwüstung von Städten und uralten Kulturgütern. Nur ein Teil der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen sowohl vom Assad-Regime als auch von Rebellen, wird der Weltöffentlichkeit überhaupt bekannt. Das Entsetzen selbst darüber hält sich buchstäblich in Grenzen. Der Bürgerkrieg in Syrien mit seinen mehr als 140 000 Toten wird als ein unabänderliches Übel hingenommen.

 

Auch die Dauerblockade bei den Friedensgesprächen in Genf dürfte kaum Resonanz hervorrufen. Zwar wurden in einer Woche 1400 Notleidende aus der Rebellenhochburg Homs gerettet, doch mehr als lokale Waffenruhen sind am Verhandlungstisch nicht erreichbar, weil die Abgesandten zu wenig kompromissbereit sind. Sie müssten dazu gezwungen werden. Stattdessen gewinnt Machthaber Baschar al-Assad Zeit. Der Pakt zur Vernichtung der Chemiewaffen hat ihn sogar gestärkt, weil der Druck der USA nachließ, ihn zu stürzen.

Moskau und Teheran müssen eingebunden werden

Russland und der Iran halten weiter ihre schützenden Hände über Assad. Die Lage ist komplexer als bei jedem anderen Konflikt der jüngeren Vergangenheit. So hat der russische Außenminister Lawrow auf der Münchner Sicherheitskonferenz von Europa und den USA generell mehr Respekt für sein Land gefordert. Das heißt: solange sich Russland auf der Weltbühne nicht gleichberechtigt mit dem Westen sieht, wird es den Trumpf Syrien in der Hand behalten und echte Fortschritte verhindern. Ähnlich geriert sich der Iran. Auch wenn es schwerfällt: Moskau und Teheran müssen besser eingebunden werden.

Doch Politik und Öffentlichkeit wirken wie gelähmt – auch in Deutschland. Kaum ein Abgeordneter positioniert sich gegen Assad, um nicht als Befürworter einer Militärintervention dazustehen. Zu groß ist die Angst vor dem Wähler. Menschenrechtler finden mit ihren Berichten kein Gehör, und selbst Bilder von verhungernden Kindern rütteln kaum jemanden auf. Demonstrationen, die Zeichen des Friedens setzen, gibt es nicht; die Spendenbereitschaft ist dürftig. Viele Syrien-Experten können nicht fassen, dass die Empörungswelle ausbleibt. Die Was-geht-mich-das-an-Haltung ist weit verbreitet. Ohne öffentlichen Druck wird sich die Politik weiter heraushalten.

Eine Generation wird um ihre Zukunft gebracht

Seit drei Jahren schaut die Welt zu. Wenn schon nicht Mitgefühl das Handeln bestimmt, sollte es die Vernunft tun. Weil in Syrien viele Schulen geschlossen wurden und Millionen Menschen auf der Flucht sind, wird eine Generation um ihre Zukunft gebracht. Was werden die jungen Syrer, die nichts lernen und nichts zu verlieren haben, morgen tun? Sie könnten dorthin gehen, wo Frieden und Wohlstand locken: nach Europa. Das bedeutet noch mehr Flüchtlingselend auf dem Mittelmeer.

Der Krieg kann zudem als religiöser Terror zu uns kommen. Offiziell berichten die Sicherheitsbehörden von über 1000 europäischen Dschihadisten, unter ihnen 270 aus Deutschland, die zum Training oder zum Kampf gegen „Ungläubige“ nach Syrien gereist sind. Der rasche Zulauf gibt zu denken. Radikalisiert und bereit für Anschläge könnten sie heimkehren.

Insbesondere der in seinen Verästelungen undurchschaubare religiöse Fanatismus hält den Westen von der Einmischung ab. Die Politik hat kein Instrumentarium für einen Konfessionskrieg dieses Ausmaßes. Dennoch muss sie agieren, bevor er die gesamte Region erfasst und sich nach Europa ausbreitet. Die Bundesregierung will doch bei der Lösung globaler Krisen mehr Verantwortung übernehmen – dies könnte sie auch im Fall Syrien beweisen. Allein auf stille Diplomatie zu setzen reicht nicht aus. Diese Strategie ist kläglich gescheitert.