Der perfide Terroranschlag von Berlin ist ein Angriff auf alles, was diese Gesellschaft stark macht. Sie muss die richtige Antwort geben, kommentiert Michael Maurer.

Stuttgart - Was auch immer die genauen Hintergründe dieses teuflischen Anschlags in Berlin sind, der Täter muss ihn sehr bewusst und mit kalter Berechnung geplant haben. Denn die Toten und Verletzten an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche treffen eine offene Gesellschaft, wie es die deutsche trotz aller terroristischen Bedrohungen bisher ist, mitten ins Herz. Der Anschlag ist das klare Zeichen an uns alle: es gibt tatsächlich keine Sicherheit mehr, es gibt keinen Schutz vor diesen Akten ohne jedes menschliche Mitgefühl – und es kann uns jederzeit an jedem Ort treffen. Wie sehr Terror und Schrecken den Alltag mittlerweile beherrschen, hat sich am Montag schon zuvor bei dem Attentat auf den russischen Botschafter in Ankara gezeigt und bei den Schüssen im Gebetsraum einer Moschee in Zürich. Von der Tragödie in Aleppo ganz zu schweigen.

 

Für Deutschland ist es die schreckliche Fortsetzung dessen, was wir schon in Paris, in Nizza, in Brüssel, in Istanbul oder in München aus den unterschiedlichsten Beweggründen erlebt haben, von geradezu symbolhafter Bedeutung. Es ist das Zentrum der deutschen Hauptstadt, das sich der oder die Attentäter als Ziel ausgesucht haben; es ist ein Weihnachtsmarkt, also eine jener Veranstaltungen, die für die Deutschen und ihre Gäste aus aller Welt eine traditionell große Bedeutung haben; und am perfidesten: es ist die Woche vor Weihnachten, die Woche vor jenem Fest, das vor allem natürlich aus religiösen, aber auch aus emotionalen Gründen für die Menschen in den christlich geprägten Gesellschaften das wichtigste Fest des Jahres ist. In der christlichen Tradition steht Weihnachten für viele jener Werte, die Terroristen jeglicher Couleur ablehnen und die sie zu vernichten trachten: Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe, Toleranz, Friede.

Eine offene Gesellschaft lässt sich nicht abriegeln

Gerade deshalb fällt es auch so schwer, die richtige Strategie im Umgang mit diesem Terror zu entwickeln. Natürlich kann der Staat immer neue Sicherheitsmaßnahmen entwickeln, kann seine Sicherheitsbehörden aufrüsten, die Geheimdienstarbeit verstärken und die Bürger zu noch mehr Wachsamkeit aufrufen. Er kann (und muss) auch alles versuchen, den Terror in den Köpfen zu bekämpfen oder besser: erst gar nicht entstehen zu lassen. Und doch wird er sich am Ende eingestehen müssen, dass all dies seinen Bürgern nicht das garantieren wird, was sie sich am sehnlichsten wünschen: Sicherheit. Denn ein Wesenszug der offenen Gesellschaft ist es nun einmal, dass sie sich nicht abriegeln lässt. Ließe sie dies zu, hätte sie ihre Seele verloren – und dabei wohl nicht einmal etwas gewonnen, wie die Anschläge in autokratisch regierten Staaten wie der Türkei oder Russland zeigen. Denn irgendwo auf dieser friedlosen Welt wird es immer jemanden geben, der entschlossen genug und menschenverachtend genug ist, um den Terror dorthin zu tragen, wo er sich den größten Schrecken für die Menschen und den größten Nutzen für seine Ideologie verspricht.

Unsere Grundüberzeugung von Menschlichkeit ist betroffen

Es ist ein unsagbarer Schmerz, den Tod jetzt mitten in Berlin miterleben und aushalten zu müssen. Doch es bleibt allen, die in dieser offenen Gesellschaft mit ihren über viele Jahrzehnte erkämpften Werte und Traditionen leben wollen, wenig anderes übrig, als diesem Terror und diesem Schmerz eine unbeugsame Haltung entgegen zu setzen. Es sind Menschen mitten unter uns getroffen worden, es ist aber auch unsere Grundüberzeugung von Menschlichkeit getroffen worden.

Das wird diese Gesellschaft erschüttern, aber sie ist zweifellos auch stark genug, um darauf die richtige Antwort zu geben: Die Werte, für die wir stehen, können durch terroristische Akte getroffen werden – aber sie können nicht zerstört werden. Wäre es anders, hätte der Terror gesiegt. Das sind die Gedanken, die uns umtreiben müssen, sobald die Trauer über die Toten von Berlin den Platz dafür frei gibt.