Der Rücktritt des VW-Chefs Martin Winterkorn stellt den Konzern nach den Abgas-Betrügereien vor neue Probleme. An der Führungsspitze entsteht nun ein Machtvakuum, analysiert der StZ-Wirtschaftsressortleiter Michael Heller.

Stuttgart - Der Sturm hat Martin Winterkorn mitgerissen. Glaubte der VW-Chef am Dienstag noch, er könne die Aufklärung des VW-Skandals von der Spitze aus steuern und überwachen, so ist der Druck nun doch zu stark geworden. Der 68-Jährige, dessen Vertrag eigentlich am Freitag um weitere zwei Jahre bis Ende 2018 verlängert werden sollte, muss gehen. Dass er, der sich keines Fehlverhaltens bewusst ist, das nicht ganz freiwillig tut, lässt der Wortlaut seiner Erklärung erahnen. Aber wie stets bei großen Krisen, so geht es auch in diesem Fall nicht um persönliches Fehlverhalten, sondern um Verantwortung. Und als Vorstandschef trägt Winterkorn, der bestbezahlte Manager der Republik, nun einmal die Verantwortung für das, was in diesem unüberschaubar groß gewordenen Autokonzern geschieht.

 

Winterkorn muss sich vorwerfen lassen, dass er nicht erkannt hat, welchen Sprengstoff die Vorkommnisse in den USA bergen. Schließlich wird schon länger mit den US-Behörden über die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Emissionsmessungen auf dem Prüfstand und auf der Straße gesprochen. Da hat es der gebürtige Leonberger versäumt, beherzt einzugreifen und die Glut auszutreten, als noch Zeit dazu war. Erst Ende voriger Woche ist den Wolfsburgern klar geworden, welche Dimension das Problem hat; dass es nicht nur um eine halbe Million Autos in den USA geht, sondern um weltweit elf Millionen Fahrzeuge, das wissen wir seit Dienstag. Und noch immer ist das Unternehmen nicht in der Lage, den Haltern von Fahrzeugen zu sagen, ob ihr Auto betroffen ist. Solches Handeln prädestiniert einen Manager natürlich nicht zum Chefaufklärer.

VW steht vor einer Zeitenwende

So ist der Rücktritt das bisher vermisste Signal, dass es Volkswagen mit der Aufklärung der Vorkommnisse ernst meint. Der neue Chef – womöglich der bisherige Vorstandsvorsitzende von Porsche, Matthias Müller – muss jedenfalls keine Rücksichten nehmen. Der Flurschaden, der ohnehin immens ist, lässt sich so womöglich begrenzen. Vielleicht bleiben die Amerikaner bei den Strafzahlungen dann unter der Obergrenze von 18 Milliarden Dollar.

Der aktuelle Skandal überdeckt ein wenig, dass der Wolfsburger Konzern nun vor einer Zeitenwende steht. Innerhalb weniger Monate gehen die beiden prägenden Figuren von Deck, die sich wohl selbst am meisten für unersetzbar gehalten haben: vor Martin Winterkorn bereits Ferdinand Piëch, der Patriarch. Es ist eigentlich unglaublich, in welcher Weise zwei Männer in eher fortgeschrittenem Alter die Abläufe in einem Riesenunternehmen auf sich zugeschnitten hatten.

Im Konzern entsteht ein Machtvakuum

Ohne die Zustimmung der beiden ist in diesem Konzern bisher keine auch nur halbwegs relevante Entscheidung getroffen worden. Das hat zu einer Führungskultur geführt, in der selbst hochrangige Manager nicht bereit gewesen sind, Entscheidungen auf die eigene Kappe zu nehmen; aus Furcht davor, anschließend gemaßregelt zu werden. Solch ein Duckmäusertum ist antiquiert und wird nun zum Problem. Es gibt ein Vakuum. Wer sich für unersetzbar hält, der muss keinen Nachfolger aufbauen. So hat schon Piëch gehandelt, und Winterkorn, bis zum Frühjahr dessen ganz enger Vertrauter, hat es ihm gleichgetan.

Immerhin hat Winterkorn noch die persönliche Zuständigkeit für die Marke Volkswagen abgegeben. Aber die Führung des komplexen Gesamtkonzerns mit seinen zwölf Marken ist eine Aufgabe, die jeden Manager überfordern muss. Gewiss kann jemand wie Müller oder Audi-Chef Rupert Stadler jetzt die Übergangsphase bewältigen. Aber ein überzeugendes personelles Konzept für die Zukunft gibt es nicht. Umso schwerer wiegt es, dass auch die Großaktionäre, die Familie Porsche und das Land Niedersachsen, nicht in der Lage sind, den künftigen Kurs vorzugeben. VW geht sehr schweren Zeiten entgegen.