Der Streit der Enthüller endet im Fiasko. Aber wer macht es besser als Wikileaks? Ein Kommentar von Alexander Mäder.
 

Stuttgart - Es ist noch völlig rätselhaft, wie die US-amerikanischen Depeschen mit den Namen der geheimen Informanten ins Internet gelangt sind. Doch schon jetzt ist absehbar, dass es sich um Schlampereien mehrerer Beteiligter handelt. Gefährliche Schlampereien, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass manche der enttarnten Informanten um ihr Leben fürchten müssen.

 

Der Fall lässt aufmerken, denn er zeigt, wie leicht im Internet die technischen Möglichkeiten außer Kontrolle geraten. Das Versprechen der Enthüllungsplattform Wikileaks, Daten und Informanten zu schützen, hat sich als nicht haltbar erwiesen. Die Enttarnung geht auf ein unglückliches Zusammenspiel von mindestens zwei Pannen zurück. Eigentlich wollte der Wikileaks-Gründer Julian Assange einem Journalisten der britischen Zeitung "Guardian" bloß die unzensierten Depeschen als verschlüsselte Datei übermitteln.

Fehler wegen Fahrlosigkeit Assanges

Er lud die Datei zu diesem Zweck auf einen Server der Zeitung und gab dem Journalisten David Leigh das Passwort für die Entschlüsselung. Leigh las die Depeschen, löschte die Datei - und veröffentlichte einige Monate später das Passwort in einem Buch. Was er offenbar nicht ahnte: im Internet existieren Kopien der verschlüsselten Depeschen, die nun mit dem publizierten Passwort für jedermann lesbar waren.

Es war fahrlässig, davon auszugehen, dass das Passwort nutzlos geworden sei. Und ebenso fahrlässig war es, die Datei ins Netz zu stellen oder sie versehentlich dort zu lassen. Es ist möglich, dass der ehemalige Wikileaks-Mitstreiter und heutige Kritiker Daniel Domscheit-Berg die fragliche Datei unwissentlich mitnahm und irgendwie verbreitete. Vielleicht aber hat sie Assange auch auf seinem eigenen Server so gut versteckt, dass er sie am Ende selbst vergaß.

Die Neuigkeit macht schnell die Runde

Vor einigen Tagen machte die Wochenzeitung "Der Freitag", die mit Domscheit-Berg zusammenarbeitet, Andeutungen über die verschlüsselte Datei und das Passwort. Spätestens damit wurden alle darauf aufmerksam, und wenig später waren die unzensierten Depeschen mit den Namen aller Informanten im Netz zu finden.

Diese Enthüllung ist damit zum Höhepunkt des seit Monaten öffentlich ausgetragenen Streits zwischen dem Wikileaks-Gründer Assange und seinem ehemaligen Weggefährten Domscheit-Berg geworden. In diesem Streit ging es immer wieder um die Frage, wer die Sicherheit der Informanten garantieren könne.

Nun stellt sich heraus, dass es allzu menschliche Faktoren sind, die das Vertrauen in Wikileaks untergraben: Nachlässigkeiten, Missverständnisse und vielleicht sogar Indiskretionen. Informanten wird das ein Signal sein: Wenn sie sich im Internet einer Aktivistengruppe anvertrauen, dann vertrauen sie sich letztlich einer Gruppe von Menschen an, die sie nicht wirklich kennen.

Das Internet ist eine Nummer zu groß für Assange und seine Mitstreiter

Assange und seine Mitstreiter haben oft von Transparenz und Meinungsfreiheit gesprochen. Nun stellt sich heraus, dass das Internet für sie eine Nummer zu groß ist. Die Affäre erinnert an jugendliche Hacker, die nicht abschätzen können, welche Kaskaden sie auslösen. In diesem Fall haben sich die Betroffenen nicht einmal Wikileaks selbst anvertraut, sondern Mitarbeitern der US-amerikanischen Botschaften. Dass ihre Aussagen später im Internet nachzulesen sind, dürfte sie zumindest schockieren.

Doch wie jeder Hacker letztlich auf Schwachstellen im System hinweist, so hat auch Wikileaks einen Mangel offenbart: Selbst offene Gesellschaften bieten Informanten zu wenig Möglichkeiten, um auf Missstände hinzuweisen. Man sollte die Panne daher nicht als Panne von Wikileaks abhaken. Politik und Wirtschaft müssen sich überlegen, wie sie die Lücke füllen: mit Vertrauenspersonen, unabhängigen Untersuchungen und Regelungen zum Schutz der Hinweisgeber. Denn sonst hätten nur diejenigen zu lachen, die nun den enttarnten Informanten auf den Leib rücken können.