Im Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität greift die Justiz zwar härter durch als früher. Doch sie könnte dabei erfolgreicher sein, wenn der Gesetzgeber sich traute, klarere Regeln zu erlassen, meint der StZ-Redakteur Stefan Geiger.

Stuttgart - Ja, die Justiz greift härter gegen tatsächliche oder auch nur mutmaßliche Wirtschaftskriminelle durch. Ja, die Staatsanwälte haben weniger Angst vor den ganz großen Tieren. Das ist eine schon seit Jahren zu beobachtende Entwicklung. Die jüngsten spektakulären Ermittlungsverfahren, die Anklage gegen Wendelin Wiedeking und die Durchsuchungen bei der Deutschen Bank sind nur die jüngsten, besonders prägnanten Beispiele dafür. Das ist gut so. Wäre es anders, könnte man angesichts des Schadens, den die Wirtschaftskriminalität anrichtet, einen Eierdieb guten Gewissens nicht mehr verurteilen. Wäre es anders, würde die Gesellschaft auch an dieser Gerechtigkeitsfrage zerbrechen.

 

Und doch bleibt ein schales Gefühl – nicht wegen der löblichen Absicht, sondern wegen des Weges. Die Rechtsprechung zur Untreue beispielsweise, jenes Paragrafen, den Manager inzwischen am meisten fürchten müssen, hat sich von der ursprünglichen Idee des Gesetzgebers weit entfernt. Der Paragraf wird gedehnt bis zur Unkenntlichkeit. Wer heute wegen Untreue verurteilt wird, muss weder eigennützig handeln, noch einen realen Schaden anrichten. Das ist so, weil es nichts Besseres gibt. Die Justiz findet keinen anderen Paragrafen, um Menschen, die anderen Menschen geschadet oder die Gemeinschaft geschädigt haben, strafen zu können.

Bis an die Grenzen des Zulässigen

Die Manager von Aktiengesellschaften andererseits befinden sich, beispielsweise bei Übernahmeschlachten, in einer oft ausweglosen Situation, wenn sie zwischen gebotener Vertraulichkeit und frühzeitigen Veröffentlichungspflichten abwägen müssen. Dabei geht es bei den entsprechenden Verfahren selten um den – strafrechtlich nicht zu fassenden – Kern des Fehlverhaltens. Das wirkt manchmal so, als ob man einen Schläger nur deshalb verurteilt, weil sein Schlagring nicht der DIN-Norm entsprochen hat, oder einen Dieb, weil er seine Beute nicht pfleglich behandelt hat.

Man muss kein Freund der Zocker und der großen Wirtschaftsbetrüger sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass auch die Justiz bisweilen an die Grenzen des Zulässigen geht; dass Aufwand und Ertrag mancher Strafverfahren in einem Spannungsverhältnis stehen und dass der öffentliche Pranger – beispielsweise im Fall des früheren Postchefs Zumwinkel – unangemessen ist. Daran ist die Justiz aber nur zum Teil Schuld. Sie wird im Stich gelassen.

Der Gesetzgeber traut sich nicht

Woran es mangelt, sind klare und praktikable Regeln für das, was im Wirtschaftsleben strafrechtlich sanktioniert wird. Das Wirtschaften in einer globalisierten Welt mag kompliziert sein. Im Kern ist der einzufordernde Standard aber so einfach wie bei einem Ladendieb: Es geht um das, was von einem redlichen Kaufmann erwartet und verlangt werden kann. Das kann man, wenn man denn will, auch heute noch strafrechtlich definieren. Und jeder der Beteiligten weiß im Grunde, wo da die Grenzen liegen. Er weiß es so genau wie ein Busengrapscher, dem auch kein Richter glaubt, wenn er behauptet, er habe in der Straßenbahn lediglich einen Haltegriff gesucht. Tatsächlich ist das Wirtschaftsstrafrecht zwar immer umfassender, zugleich aber auch immer komplizierter geworden, mit immer mehr von interessierter Seite durchgesetzten Graubereichen.

Der Gesetzgeber traut sich nicht. Er ist noch nicht so selbstbewusst, wie die Richter es geworden sind. Noch ist die Angst vor der Macht der Granden zu groß und die Bereitschaft, den Einflüsterungen der Lobbyisten zu folgen. Das kann sich rasch ändern. Gerade erlebt eine fassungslose Öffentlichkeit, dass bei dem im Grunde vernünftigen Rückkauf der Griechenland-Anleihen auch die windigsten der Spekulanten mit Europas Steuergeldern um viele Millionen reicher gemacht worden sind. Ganz legal, weil vernünftige Gesetze fehlen. Das hält auf Dauer keine Gesellschaft aus. Wir brauchen neue Regeln für das Wirtschaften.