Ganz gleich ob Amoklauf oder Terrortat: Der Staat muss souverän darauf reagieren. In München konnte man gut sehen, wie das geht, meint StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Macht es einen Unterschied, ob ein psychopathischer Amokläufer oder ein islamistischer Terrorist in München neun Menschen und sich selbst getötet hat? Ob die Tat in einer furchtbaren Reihe mit Orten wie Winnenden und Erfurt steht oder mit Nizza und Würzburg? Für die Opfer und ihre Angehörigen ist das vollkommen gleichgültig. Sie sind aus ihrem Leben gerissen worden; ein Mörder hat unsagbares Leid über sie und ihre Familien gebracht.

 

Doch für Politik und Gesellschaft ist es erkennbar nicht unerheblich, wie sich noch in der Tatnacht zeigte. Kurz nachdem die vorbildliche Münchener Polizei auf Twitter eindringlich appelliert hatte, keine Gerüchte und Spekulationen über die sozialen Medien zu verbreiten, machte etwa André Poggenburg, Mitglied im AfD-Bundesvorstand, auf seine Art Meinung. Die „Merkel-Einheitspartei“ sei für den „Terror in Deutschland und Europa“ verantwortlich; „GutmenschInnen“, „Merkler und Linksidioten“ trügen eine Mitschuld an dem Anschlag. So tief haben sich Hass und Geifer inzwischen in die deutsche Gesellschaft eingefräst. Auch andere führende AfD-Politiker riefen noch am gleichen Abend dazu auf, die angebliche Alternative für Deutschland zu wählen.

Die Grenzen zwischen Amok- und Terrortat verschwimmen

Machen wir uns nichts vor. Am Freitagabend war es ein Amoklauf, doch es steht zu befürchten, dass auch der islamistische Terror in Deutschland erneut zuschlägt. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit für den Einzelnen, Opfer einer solchen Tat zu werden, verschwindend gering. Doch in einem demokratischen Rechtsstaat kann es keine absolute Sicherheit geben. Und ohnehin scheinen die Grenzen zwischen Amoklauf und Terrortat immer weiter zu verschwimmen. Es ist leicht und verführerisch, eine persönliche Wahnsinnstat durch den Bezug zum Islamischen Staat flugs aufzuwerten und in einen vermeintlich größeren Sinnzusammenhang einzuordnen.

Und vor diesem Hintergrund sind, so paradox es klingen mag, die Lehren aus München überraschend positiv. Zunächst einmal: Der Polizeieinsatz mag – mit dem Wissen von heute – überdimensioniert gewesen sein. Doch es ist beeindruckend, mit welcher Geschwindigkeit und Professionalität die Münchener Polizei über 2000 Sicherheitskräfte binnen Stunden mobilisierte und wie souverän sie kommunizierte. Es zeigt sich freilich auch, welche Herausforderungen auf die Polizei durch bewusste oder irrtümliche Falschmeldungen in den sozialen Medien zugekommen sind. Mehr als überzeugend war auch die Reaktion der Münchener Bürger, die sich nicht nur besonnen verhielten, sondern auch Gestrandeten eine offene Tür anboten.

Es geht um Werte: Demokratie, Offenheit, Mitmenschlichkeit

Unabhängig von der Frage, ob wir durch einen kranken Ego-Shooter oder einen verblendeten Islamisten an Leib und Leben bedroht werden: Am Ende der Debatte landet man immer wieder bei den Werten, für die Deutschland und der Westen stehen wollen und müssen. In einer der beeindruckendsten Reden, die je ein Politiker gehalten hat, fand der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg nur wenige Tage nach dem unfassbaren Grauen von Utoya und Oslo die richtigen Worte. „Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit.“ Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren verteidigte er genau jene offene und freie Gesellschaft, die damals Anders Breivik bekämpfen wollte und heute das Ziel islamistischer Attentäter ist.

Das ist auch das richtige Signal in diesen Tagen, in denen die Welt schief zu hängen scheint. Hass und Destruktivität ist nur mit einer trotzigen Zuversicht beizukommen. Das heißt nicht, dass wir arg- und wehrlos sein dürfen. Aber wir müssen unsere Werte gegen Gegner im Inneren wie Äußeren verteidigen. Die Stadt München und ihre Bürger haben am Freitag gezeigt, wie das geht.