Während die Beschäftigten der Autohersteller reich belohnt werden, geht der Aufschwung an vielen Menschen vorbei, stellt Matthias Schiermeyer fest.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - In diesen Tagen werden viele neue Zahlen in die Welt gesetzt, die gegensätzliche Entwicklungen beschreiben. Es sind sehr erfreuliche Zahlen hier und ernüchternde Befunde dort. Die Rekordbilanzen und Erfolgsbeteiligungen wichtiger Unternehmen auf der einen Seite und die Arbeitsmarktstatistiken auf der anderen Seite lassen sich aber auf einen Nenner bringen. Demnach profitieren viele Menschen vom Konjunkturhoch und dem sogenannten deutschen Beschäftigungswunder – an einem Teil der Bevölkerung geht der Aufschwung jedoch vorbei.

 

Die schillerndste Zahl – 17 Millionen Euro – wird von nun an mit Martin Winterkorn verbunden werden. So viel hat der VW-Chef im vorigen Jahr verdient, womit er sein Salär fast verdoppelte. Mit diesem neuen Spitzenwert könnte Winterkorn den Banker Josef Ackermann als Symbolfigur eines scheinbar ungehemmten Kapitalismus ablösen. Deutlich dahinter liegen die Topmanager der anderen Autobauer, obwohl sie doch ähnliche Bestleistungen erbracht haben. Es wird ordentlich zugelangt: Nach einer Zwischenbilanz gewähren die führenden Börsenunternehmen ihren Vorstandschefs Verdienstzuschläge von erheblich mehr als zehn Prozent.

Die Arbeitnehmervertreter ziehen gern mit

Es ist freilich nicht bekannt, dass irgendeine Belegschaft dagegen protestieren würde. In den Aufsichtsräten stimmen die Arbeitnehmervertreter vielmehr in seltsamer Kritiklosigkeit zu, weil sie damit auch ihrer Klientel einen Geldsegen sichern. Die Erfolgsbeteiligungen haben ein Rekordniveau erreicht. So gesehen darf man allemal von einer Win-Win-Situation reden. Zumindest gilt dies für die Automobilindustrie. In anderen Wirtschaftszweigen müssen die Angestellten nun auf Tarifabschlüsse hoffen, die wenigstens die steigenden Lebenshaltungskosten ausgleichen.

Man sollte nicht vergessen, dass die Autoindustrie in der Krise mit Kurzarbeitergeld und Abwrackprämie auch vom Steuerzahler wieder flottgemacht wurde. Davon abgesehen leisten die so glänzend honorierten Wirtschaftsbosse eine verantwortungsvolle Arbeit. Maßstab ihrer Bezüge ist der globale Markt. Doch wohin führt das, wenn bei derartigen Zuwachsraten der Bezug zur Basis immer mehr verloren geht? Eine neue Diskussion über nachvollziehbare Kriterien für Vorstandsgehälter wäre angebracht, auch wenn Verteidiger des Systems sie stets als populistisch abtun.

Mehr als eine Million Leiharbeiter möglich

Zur Kehrseite des Erfolgs gehört, dass er nicht zuletzt auf Zeitarbeit beruht, die im Vorjahr um ein Fünftel gewachsen ist und 2012 die Grenze von einer Million überschreiten dürfte. Um faire Bedingungen für die Leiharbeiter wird zunehmend gerungen, weil die Regierung zaudert. Zur Realität gehören ebenso die Werkverträge, mit denen in zahlreichen Bereichen das Lohndumping und die Flexibilisierung der Anstellungsverhältnisse forciert werden.

Der Minijob ist oft eine Armutsfalle

Zur Realität gehört drittens der ausufernde Niedriglohnsektor mit der Zunahme der Minijobs. Für fast fünf Millionen Menschen, in der Mehrzahl Frauen, ist der Minijob die einzige Erwerbsquelle. Im Schnitt erhalten sie etwa 265 Euro im Monat. Gerade Geringqualifizierten gelingt es oft nicht, aus dem Minijob in eine Teilzeit- oder Vollzeitstelle zu wechseln. Dies hat dramatische Folgen in der Arbeitslosigkeit und für die Altersversorgung – somit auch für die Sozialkassen. Die Rechnung für all dies erhält der Staat erst in der Zukunft.

Derzeit zeigt sich die Marktwirtschaft von ihrer sonnigen Seite. Doch niemand sollte sich blenden lassen. Ein Teil des Wohlstands basiert wie auch die geringste Arbeitslosigkeit seit zwei Jahrzehnten auf all diesen Trends. Zugleich spalten sie die Gesellschaft, weil die Einkommensschere weiter auseinandergeht. Wie in vielen Industrieländern gewinnen die Vermögenden im Aufschwung hinzu, nicht jedoch die Armen. Deren Frust wird sich auch bei uns in wachsendem Protest niederschlagen.