Das Prinzip Versuch und Irrtum reicht in der Atomkrise in Fukushima nicht, meint StZ-Redakteur Klaus Zintz.  

Tokio - Nun ist amtlich, was zahlreiche Experten schon lange erwartet haben: die teilweisen Kernschmelzen in den Meilern Fukushimas sind in die höchste Gefahrenstufe eingeordnet worden. Damit gilt das Unglück jetzt als ähnlich katastrophal wie der Super-GAU in Tschernobyl vor 25 Jahren. Zwar scheint sich die Lage in gewisser Weise zu stabilisieren, aber nach wie vor weiß niemand, ob es nicht doch noch zu einer vollständigen Kernschmelze in einem oder gar mehreren der havarierten Blöcke kommt. Die stetigen Nachbeben führen immer wieder dramatisch vor Augen, wie schnell es zu neuen, womöglich nicht mehr beherrschbaren Schäden kommen kann - etwa zu größeren Rissen in den ohnehin strapazierten Schutzhüllen um die Reaktorkerne. Dann droht ein Unglück, das die Folgen von Tschernobyl übersteigen könnte.

 

Doch auch ohne Nachbeben hat die Betreiberfirma Tepco schwer zu kämpfen, damit die Situation nicht erneut eskaliert. Die Maßnahmen und Mittel, die sie dazu ergreift, wirken jedoch oft reichlich improvisiert. Wasserduschen aus Hubschraubern sollten die Reaktoren kühlen - vergeblich. Mit Zeitungspapier und anderen Hilfsmitteln wollte man ein Leck abdichten, aus dem radioaktiv verseuchtes Wasser in die Umwelt floss - es klappte nicht. Nicht weniger verzweifelt mutet auch der Plan an, mit einem Kunstharzgemisch radioaktive Partikel am Boden festzukleben oder mit Planen die tödliche Wolke sozusagen unter der Decke zu halten. Erfreulich ist, dass durch hartnäckige Versuche manches Problem entschärft oder zumindest gemildert werden konnte. Doch mit planvollem Handeln hat dies wenig zu tun. Mit verblüffender Ehrlichkeit gestand der japanische Botschafter in Berlin dieser Tage ein, dass das Krisenmanagement in Fukushima auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum beruhe.

Ein fatales Krisenmanagement

Die Betreiberfirma Tepco ist ganz offensichtlich von den Ereignissen überrollt worden und nun mit dem Krisenmanagement massiv überfordert. Angesichts der Schäden, die durch das gewaltige Erdbeben und den nachfolgenden Tsunami verursacht worden sind, ist dies verständlich. Aber die Frage ist berechtigt, warum die Japaner vor allem am Anfang der Katastrophe internationale Hilfe abgelehnt haben. Der Versuch, die Krise aus eigener Kraft zu meistern, hat sich inzwischen als katastrophaler Fehler erwiesen. Ein besser durchdachtes und vor allem schneller einsetzendes Krisenmanagement hätte vielleicht verhindert, dass so viel Radioaktivität freigesetzt wurde, dass nun die Gefahrenstufe 7 ausgerufen werden musste. Und auch im weiteren Verlauf der Havarie hätten Spezialroboter möglicherweise erfolgreicher agieren können als Menschen, die unter fragwürdigen Bedingungen in die verseuchten und teilweise zerstörten Reaktorgebäude geschickt wurden.

Bei solch verheerenden Katastrophen wäre es eigentlich unabdingbar, das weltweit vorhandene Expertenwissen im Kampf gegen die Folgen zu bündeln. Doch für solch einen raschen internationalen Kriseneinsatz fehlen die Grundlagen. Zudem ist es für die westlichen Industriestaaten offenbar schwierig, privat operierende Unternehmen bei der Bekämpfung solcher Unfälle einigermaßen effektiv zu beaufsichtigen oder ihnen gar aufzuerlegen, externes Expertenwissen abzufragen und anzunehmen. Dies mussten auch die Amerikaner bei der ähnlich chaotisch anmutenden Bekämpfung der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko nach dem Untergang der Bohrplattform Deepwater Horizon erleben. Umso wichtiger wäre es, sich nun Gedanken zu machen, wie beispielsweise mit Hilfe einer überstaatlichen Organisation Unglücke bekämpft werden können, deren Risiko bisher für vernachlässigbar klein gehalten wurde. Gerade in Europa mit seinen vielen, noch auf lange Zeit laufenden Atomreaktoren wäre ein solch übergeordnetes Krisenmanagement unabdingbar.