Die Politik hat einen Kompromiss gefunden, um die Suche nach einem Endlager für Atommüll voranzubringen. Doch damit steht sie vor großen Herausforderungen. Vor allem die Landesregierung in Stuttgart, meint die StZ-Redakteurin Bärbel Krauß.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Man hat sich in drei Jahrzehnten daran gewöhnt, dass die Suche nach einem Atomendlager nicht von der Stelle kam. Der Protest gegen Gorleben ebbte nie ab. Aber los wurde man den potenziellen Standort auch nicht. Für einen Großteil der Republik war der Stillstand bequem: Das Wendland war für die meisten weit weg, und die Entscheidung rückte niemals von der fernen auch nur in die nähere Zukunft. Das ist jetzt anders. Zum ersten Mal ist es real möglich, dass die Abfälle der Kernenergie an einem anderen Ort, womöglich auch in Baden-Württemberg, eingelagert werden. Das wäre bei uns allen vor der Haustür.

 

Von einer Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt, muss und darf man noch nicht sprechen. Denn neben einheimischen Tonformationen kommen auch Granitgesteine in Sachsen und Bayern infrage sowie Gorleben und andere niedersächsische Salzstöcke. Aber richtig bleibt: aus der theoretischen ist die reale Zukunftsoption eines Endlagers im Südwesten geworden. Angesichts dieser Perspektive kann einem schon der Atem stocken.

Endlagerung im Ausland nicht vertretbar

Es ist ein unbequemer Kompromiss, den die Bundesregierung, die Bundestagsfraktionen und die Länder ausgehandelt haben. Er ist unbequem für all jene Bürger, ihre Kinder und Kindeskinder, denen die Standortentscheidung im Jahr 2031 einen derart unerwünschten Nachbarn bescheren wird. Wer möchte schon ein Endlager für radioaktiven Müll in der Nähe haben? Aber eine gute und bequeme Alternative für alle gibt es nicht. Die Endlagerung im Ausland ist auch wegen der enormen Sicherheitsrisiken nicht vertretbar.

Hat die Politik eine gute Lösung gefunden? Nicht wenn man das Optimum für eine Endlagersuche als Messlatte nimmt. Dann würde für die Erkundung potenzieller Standorte mehr Zeit zur Verfügung stehen. Es würde keine Kommission geben, die noch einmal Kriterien für das weitere Suchverfahren abstecken soll; denn diese wissenschaftlichen Grundlagen gibt es längst. Außerdem birgt die Kommission das Risiko, dass das hehre Bekenntnis zur gemeinsamen nationalen Verantwortung sich schnell verflüchtigt, weil verdeckt doch für eigene Standortinteressen gefochten wird – frei nach dem Motto: überall hin, nur nicht zu uns.

Mehr war nicht durchsetzbar

Einen Vorgeschmack darauf hat das wahlkämpfende Bayern bereits geliefert. Positiv ist aber, dass Gorleben weiter als potenzieller Standort in Frage kommt. Den Salzstock auszuklammern wäre schon wegen der bereits investierten Milliarden nicht vertretbar. Außerdem versucht das neue Verfahren, das öffentlich und mit einem hohen Maß an Bürgerbeteiligung stattfinden soll, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden.

Trotzdem wäre es leicht, sich einen besseren Kompromiss auszudenken. Allein: mehr war nicht durchsetzbar. Und wenn Politik die Kunst ist, das Machbare möglich zu machen, haben die Verantwortlichen das Nötige geschafft, indem sie überhaupt einen Konsens gefunden haben. In diesem Sinne ist es ein guter Kompromiss.

Aber das macht die Sache gerade für die Stuttgarter Landesregierung nicht einfach. Sie muss nun bei einem wahrhaft unpopulären Thema beweisen, wie gut sie sich auf die Politik des Gehörtwerdens versteht. Sie muss die Ängste und Sorgen der Bürger mit ihrem Bekenntnis zur Verantwortungsethik versöhnen. Für ganz Deutschland ist es gut, wenn die Endlagerfrage im nationalen Konsens gelöst werden kann. Ohne Winfried Kretschmanns Offenheit für einen Endlagerstandort im Südwesten wäre das nicht gelungen. Die Republik hat ihm zu danken, dass er einen Endlagerkonsens ermöglicht hat. Schon die nächsten Monate, wenn es um die Zwischenlagerung der noch ausstehenden Castortransporte geht, werden aber zeigen, wie schwer seine Landesregierung und auch künftige an diesem Erfolg zu tragen haben.