Der türkische Präsident ist zu einem Teil mitverantwortlich für die Welle von Terroranschlägen in seinem Land, meint Susanne Güsten. Durch eine Reihe von Fehlentscheidungen habe er die radikalen Kräfte in der Türkei ermuntert.

Istanbul - In der Türkei hat das neue Jahr mit Blutvergießen begonnen – und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass der Hass das Land im weiteren Verlauf des Jahres verschonen wird. Die Türkei wird zur Geisel von rücksichtslosen Gewalttätern, für die jeder Andersdenkende ein legitimes Ziel ist und den Tod verdient. Oppositionelle und Regierungskritiker warnen, die Türkei ähnele immer mehr ihren von einem scheinbar unendlichen Strudel der Gewalt erfassten Nachbarn Irak und Syrien. Präsident Erdogan muss sich vorwerfen lassen, für die Entwicklung mitverantwortlich zu sein. Obwohl bei ihm selbst kein Zweifel daran besteht, dass er Gewalt als Mittel der Politik strikt ablehnt, hat er mit drei fatalen Richtungsentscheidungen in den vergangenen Jahren radikale Kräfte in mehreren Lagern ermuntert.

 

Erdogan hat den kurdischen Friedensprozess aufgekündigt

Erstens hat Erdogan den kurdischen Friedensprozess, den er 2013 begonnen hatte und der zu einem vorübergehenden Gewaltverzicht der PKK-Terroristen führte, im Sommer 2015 aufgekündigt. Die Regierung betont, sie habe keine andere Wahl gehabt, weil die PKK damals mit neuen Anschlägen begann. Doch mit dieser Argumentation unterwirft sich Ankara indirekt der Logik militanter Extremisten bei den Kurden, die mit Friedensgesprächen nichts anfangen können. Seit anderthalb Jahren tobt der Krieg zwischen der PKK und dem türkischen Staat wieder mit voller Härte.

Erdogans zweiter, wohl noch folgenreicherer Fehler hängt mit dem Syrienkonflikt zusammen. Zumindest in den ersten Jahren dieses Krieges glaubte seine Regierung, radikalislamische Milizen dort als Instrumente im Kampf gegen den verhassten syrischen Staatschef Baschar al-Assad lenken zu können. Das erwies sich als Fehlschluss, für den die Türkei nun teuer bezahlt. Der Islamische Staat schickt Selbstmordattentäter nach Istanbul und Ankara.

In der Türkei greift eine muslimische Intoleranz um sich

Drittens hat Erdogan es zugelassen, dass in der Türkei eine muslimische Intoleranz um sich gegriffen hat, durch die sich militante Extremisten bestärkt fühlen. Der Präsident wird von seinen Anhängern nicht zuletzt deshalb als Heilsbringer verehrt, weil er die lange vom strikt säkularistischen System unterdrückte, fromm muslimische Mehrheit von ihren Fesseln befreite: Erdogan hat den türkischen Muslimen neues Selbstvertrauen geschenkt. Doch er hat nicht verhindern können oder wollen, dass dieses Selbstvertrauen in Rachsucht, Engstirnigkeit und Feindseligkeit gegen Andersdenkende umschlug. Damit hat Erdogan auch einem gesellschaftlichen Klima Vorschub geleistet, das Pluralität nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung und als untürkisch begreift.

Der Präsident hätte es in der Hand, dies zu ändern. Er könnte die Friedensverhandlungen mit den Kurden neu aufleben lassen. Er könnte durch Gesten der Solidarität und Toleranz für Ausgleich und Verständigung werben. Leider ist das nicht zu erwarten. 2017 dürfte für die Türkei noch schwieriger werden als das blutige alte Jahr.