Der Ausnahmezustand in der Türkei verschärft auch in Deutschland die Auseinandersetzung zwischen Erdogan-Anhängern und Gegnern. Darauf müssen die Behörden rasch und entschlossen reagieren, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Mit der Verhängung des Ausnahmezustands sichert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Macht für die nächsten Monate fast unbeschränkt ab. Beim weiteren Ausschalten seiner Gegner kann er das Parlament nun praktisch ignorieren. Er kann vor allem Demonstrationen verbieten, die Medien zensieren und auf Konten zugreifen, damit auch die Vermögen der Gülen-Bewegung einziehen, die er des Putsches verdächtigt. Mehr geht kaum innerhalb der türkischen Verfassung. Der Ausnahmezustand verstärkt seine Alleinherrschaftsfantasien.

 

Die Bundesregierung hatte schon nach dem Umsturzversuch eher verhalten auf die umfassende „Säuberung“ durch Erdogan reagiert. Der Ausnahmezustand scheint nicht mehr Entschlossenheit in Berlin zu zeitigen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat – ganz Diplomat – die Wahrung der „Verhältnismäßigkeit“ angemahnt und die Forderung bekräftigt, dass Ankara die Rechtsstaatlichkeit nicht aus den Augen verlieren dürfe. Grenzen werden Erdogan nicht aufgezeigt. Dabei hatte dieser die demokratischen Rechte schon vor dem Putsch-Wochenende stark eingegrenzt. Nun nimmt sein Verhalten diktatorische Züge an. Berlin erweckt jedoch den Eindruck, als solle der Machthaber vom Bosporus nicht provoziert werden, damit er den Flüchtlingsdeal mit der EU nicht in Frage stellt. Wäre dies so, würde man Menschenrechte für verhandelbar erklären.

Mehr Selbstbewusstsein gegenüber Ankara

Die Bundesregierung sollte mehr Selbstbewusstsein zeigen und beispielsweise auf die wirtschaftliche Abhängigkeit der Türkei von der EU hinweisen. Ankara muss sich im Klaren sein, dass es seinen mühsam erworbenen Wohlstand aufs Spiel setzt. Heraushalten kann sich Berlin schon deswegen nicht, weil der Konflikt bereits mitten in Deutschland tobt. Seit dem Wochenende häufen sich die Demonstrationen von Erdogan-Anhängern und Gegnern – eine Spaltung in Sieger und Verlierer ist auch hier deutlich erkennbar. Immer unverhohlener schüchtern Erdogan-Fanatiker Andersdenkende ein. Diese werden in Mails als Vaterlandsverräter denunziert und bedroht, ihre Websites werden lahmgelegt, mitunter sogar schon ihre Einrichtungen angegriffen. Binnen Stunden werden über die sozialen Medien Demonstrationen angezettelt. Besonders unter Druck gesetzt werden die Sympathisanten der Gülen-Bewegung – Schulen etwa, auch in Stuttgart. Auch Minderheiten wie Kurden und Aleviten werden angegangen.

Klare Kante gegen jedwede Repression

Es reicht nicht, wenn die Sicherheitsbehörden diese Vorgänge sorgfältig beobachten. Es gilt, in Wort und Tat klare Kante gegen jedwede Repression zu zeigen. Zudem müssen die türkischen Kulturvereine ins Boot geholt werden, um die Auseinandersetzung einzudämmen. Die Polarisierung der türkischen Gesellschaft darf nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden. Bei fast drei Millionen türkisch-stämmigen Menschen hierzulande ist dies eine große Herausforderung, aber noch ist Zeit zum Agieren, bevor die Konfrontation eskaliert.