Vier Jahre muss Verena Becker für ihre Beteiligung am RAF-Mord an Siegfried Buback ins Gefängnis. Mit dem Urteil wird eine wackelige Brücke beschritten, meint StZ-Redakteur Stefan Geiger.

Stuttgart - Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen Verena Becker ist schwer vermittelbar. Im Ergebnis anderthalb Jahre Haft für die Beihilfe an einem so schweren Verbrechen wie der Ermordung des früheren Generalbundesanwalts Siegfried Buback und seiner beiden Begleiter, das erscheint zunächst völlig unangemessen. Selbst die vier Jahre Haft, zu denen Verena Becker formal verurteilt worden ist, wirken angesichts des Tatvorwurfs extrem milde.

 

In Wahrheit konnten die Richter dem früheren RAF-Mitglied Becker, die sogar wegen Mittäterschaft angeklagt worden war, aber nur sehr wenig nachweisen. Es gibt keinerlei Hinweise für ihre unmittelbare Tatbeteiligung, noch nicht einmal Indizien, die auf eine Mitwirkung an den Vorbereitungen in den Wochen vor dem Verbrechen hinweisen würden. Becker ist letztlich verurteilt worden, weil das Gericht es als erwiesen ansieht, sie habe bei einem Treffen der RAF Monate vor der Tat sich für die Ermordung Bubacks eingesetzt und so die Täter in ihrem Tatwillen bestärkt. Andererseits erneuern die Richter die These von der „Kollektivität der RAF“, die alles gemeinsam beschlossen habe. Man fragt sich schon, wer da die Tat noch fördern konnte, wenn alle es wollten. Grundlage des Urteils ist der so schillernde Kronzeuge Peter-Jürgen Boock. Das ist eine sehr weite und auch wackelige Brücke, um zu einem Schuldspruch zu kommen.

Tragische Lebenssituation

Viel wichtiger aber ist die Tatsache, dass Becker bereits wegen einer anderen Tat der RAF zu lebenslanger Haft verurteilt worden war und diese Strafe rechtlich auch voll verbüßt hat. Wäre sie bereits in ihrem ersten Prozess auch wegen des Buback-Mordes verurteilt worden, sie hätte keine härtere Strafe bekommen können. Auch heute dürfte sie nicht schlechtergestellt werden. Selbst die anderthalb Jahre, die Becker nun noch einmal verbüßen soll, sind deshalb unangemessen. Das Urteil wirkt so, als müsse ein Mammut-Prozess zumindest der Form nach gerechtfertigt werden.

Der Prozess gegen Verena Becker wäre nicht, vor allem aber nicht so ausufernd geführt worden, wären die Bundesanwaltschaft und mit ihr auch das Oberlandesgericht Stuttgart nicht dazu gedrängt worden. Michael Buback, der Sohn des Mordopfers, unterstellte nicht nur, Verena Becker sei die Frau, die eigenhändig auf seinen Vater geschossen habe, er behauptete auch, staatliche Stellen, auch die Bundesanwaltschaft, hätten die Mörderin geschützt. Für diese Verschwörungstheorie gab es von Anfang an keine ernst zu nehmenden Belege. Der Prozess wurde in weiten Teilen dazu genutzt, eine absurde Theorie zu widerlegen. Das ist aber nicht die Aufgabe eines Strafprozesses. Und Michael Buback hat dieses Verfahren auch nichts geholfen. Im Gegenteil, er hat sich am Ende in eine tragische Lebenssituation manövriert.

Gefangene der RAF

Die deutsche Justiz ist noch Jahrzehnte nach den Verbrechen in einer übertragenen Art eine Gefangene der RAF. Spätestens der desaströse Strafprozess gegen Verena Becker legt nahe, sich aus dieser Knechtschaft zu befreien. Das deutsche Strafrecht ließe es zu, jene Täter, die wegen Verbrechen der RAF bereits einmal zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, nicht noch einmal wegen anderer RAF-Taten vor Gericht zu stellen. Formal wäre dies möglich, weil weitere Taten, gemessen an der lebenslangen Freiheitsstrafe, jedenfalls inzwischen nicht mehr ins Gewicht fallen. Rechtspolitisch wäre es ratsam, weil weitere Strafen inzwischen ihren Sinn verloren haben und nur noch unangemessen sein können. Für die Suche nach der historischen Wahrheit wäre es hilfreich, weil es zumindest einzelne der Täter veranlassen könnte, ihr Schweigen doch noch zu brechen. Die Wahrheit ist das, was den Angehörigen der Opfer heute am Wichtigsten ist. Wenigstens den Opfern sollten wir eine Chance geben.