Das Scheitern ihres Brexit-Entwurfs im britischen Parlament hat die Premierministerin Theresa May selbst verschuldet – aus genau zwei Gründen, kommentiert unser Korrespondent aus London, Peter Nonnenmacher.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Wie erwartet ist Theresa May am Dienstagabend im britischen Parlament mit ihrem Brexit-Deal gescheitert. Mit 432 zu 202 Stimmen lehnte das Unterhaus den ihm vorgelegten EU-Austrittsvertrag ab. Diese Niederlage Mays ist aus zwei Gründen von enormer Bedeutung.

 

Einmal, weil so viel an diesem Deal hing und der Abstimmungs-Ausgang den Briten nun eine Krise beschert hat, deren Konsequenzen bislang noch kaum zu ermessen sind. Zum Zweiten aber auch, weil das Abstimmungsergebnis selbst beispiellos ist. Beide Seiten im Parlament, Linke wie Rechte, Pro-Europäer wie Brexit-Hardliner, haben sich gegen May aufgelehnt.

Mehr als zwei Drittel des Parlaments haben der Premierministerin bescheinigt, dass ihre zweijährigen Bemühungen um den rechten Exit beim Brexit kein auch nur annähernd akzeptables Ergebnis gebracht haben. Wenige Wochen vor dem Brexit steht das Vereinigte Königreich dank Mays bitterer Fehlkalkulation verloren da.

Brexit ist schon lange kein „Normalfall“ mehr

Im Normalfall würde sich ein Regierungschef oder eine Regierungschefin in einer solchen Situation zum Rücktritt genötigt sehen. Aber der Brexit ist schon lange kein „Normalfall“ mehr. Dass auch das Parlament sich (bisher) in nichts einig wird, dass das ganze Land in dieser fatalen Frage gespalten ist, setzt traditionelle Spielregeln außer Kraft. Wie es nun weiter gehen soll, hängt nicht zuletzt daran, ob die Volksvertretung das Selbstbewusstsein findet, einer ins Seitenaus marschierten Exekutive einen neuen Weg zu weisen.

Selbstverschuldet ist die Niederlage natürlich. May hat seit langem gewusst, dass sie weder in der eigenen Partei noch im Unterhaus für eine Mehrheit sprach. Dringend nötiger Brückenschlag zur „anderen“ Seite, zu nüchternen Tories, zu moderaten Labour-Leuten, ist unterblieben. Wertvolle Zeit ist vergeudet worden. Inkompetente Minister, die May zur Beschwichtigung der Parteirechten ins Amt berief, haben eine unheilvolle Rolle gespielt. Was nun? Am wichtigsten wäre erst einmal ein Luftholen, ein Pausieren. Schon aus technischen Gründen, wegen der erforderlichen Verabschiedung neuer Gesetze, ist ein Austritt Großbritanniens aus der EU zum 30. März gar nicht mehr drin.

Gefährliche Fronten haben sich gebildet

Aber auch um jetzt generell einen Weg aus Mays Schlamassel zu finden, braucht es Bedacht und kühle Überlegung. Immerhin bieten sich diverse andere, noch nicht verfolgte Alternativen an. Ob so viel Rückkehr zur Rationalität möglich ist, muss sich zeigen. In der Hitze des Gefechts haben sich gefährliche Fronten gebildet, in Westminster wie im ganzen Land. Am dringlichsten ist wohl, dass sich im Parlament jetzt eine klare Mehrheit formiert, die eine „No Deal“-Katastrophe, den „Sprung über die Klippe“, verhindert. Das wäre der erste Schritt.

Stattdessen ist aber erst einmal mit weiteren schweren Turbulenzen zu rechnen. Bald wird die Vertrauensfrage gestellt. In einer Lage wie dieser, ratlos, ohne Konsens im Parlament, ohne funktionsfähige Regierung, kann man nur hoffen, dass sich die britische Politik mit oder ohne May möglichst schnell wieder fängt.