Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil zu „Deals“ im Strafprozess gesprochen. Zurecht rügen die Karlsruher Richter diesmal nicht den Gesetzgeber, sondern ihre eigenen Kollegen, kommentiert StZ-Redakteur Stefan Geiger.

Stuttgart - Stuttgar - Das Bundesverfassungsgericht schreibt in seinem Urteil zum „Deal“ im Strafprozess: „Im Rechtsstaat bestimmt das Recht die Praxis, nicht die Praxis das Recht.“ Wirklich? Der „Deal“ hat elementare Grundregeln des deutschen Strafrechts außer Kraft gesetzt. Er ist ungerecht, weil die Kleinen drakonisch bestraft werden, andere einen unangemessenen Strafrabatt bekommen. Überschlägig beträgt der Rabatt 30 Prozent. Ein Schnäppchen eben. Der „Deal“ folgt den Regeln des Pokerspiels. Mit Wahrheitserforschung hat das wenig zu tun. Der „Deal“ gefährdet das Grundrecht, nach dem sich niemand vor Gericht selbst belasten muss. Der „Deal“ scheut die Öffentlichkeit, er bedarf der Kungelei. Die Versuche ihn einzuhegen, sind misslungen. Alle wissen das.

 

Das Verfassungsgericht hat es in seinem Urteil noch einmal zutreffend beschrieben. Die Verfassungsrichter haben auch gesagt, welche Mindeststandards das Grundgesetz vom Strafrecht verlangt. Alles, was die Karlsruher diesmal sagen, stimmt. Sie haben abwägend, im Ergebnis aber eindeutig entschieden, sie haben überzeugend begründet. An dem, was sie sagen, gibt es nichts auszusetzen. Sie rügen diesmal nicht des Gesetzgeber, sondern in aller Schärfe ihre eigenen Kollegen.

Schon das Gesetz war eindeutig. Viele Richter haben sich aber nicht darum geschert. Sie haben sich anmaßend und selbstherrlich über das Gesetz gestellt. Keinem, der vor ihrer Bank steht, würden sie das durchgehen lassen. Das Verfassungsgericht spricht an dieser Stelle vornehm von „interessengeleiteten Missverständnissen und Bestrebungen, die gesetzliche Regelung wegen ihrer – als unpraktisch empfundenen – Schutzmechanismen zu umgehen“. Weshalb sollte sich das nun ändern?

Der „Deal“ sucht sich seinen Weg wie das Wasser. Die vertrauten und vertraulichen Gespräche werden noch vertrauter und vertraulicher werden. Die Richter, Staatsanwälte und Verteidiger – nicht unbedingt die Angeklagten – haben gemeinsame Interessen. Und auch für Richter gilt: Wo kein Kläger, da ist kein Revisions-Richter. Und, das muss man ihnen zugestehen, sie haben überzeugende, wenn auch nicht rechtsstaatlich saubere Gründe für ihren „Deal“. Die Verfassungsrichter führen auch all diese Gründe auf: Die wachsende Überlastung der Gerichte, nicht weil die Deutschen immer krimineller würden, sondern weil immer mehr Verhaltensweisen als strafrechtlich relevant eingestuft werden. Immer kompliziertere Gesetze, auch eine immer kompliziertere Rechtsprechung. Konfliktverteidiger, die Richter zum Wahnsinn treiben. Und eine Justizverwaltung, die Qualität allein an den Erledigungszahlen misst. Der „Deal“ heilt das alles. Scheinbar.

Wer den „Deal“ begrenzen will, muss an anderen Stellschrauben drehen. Er muss den Strafprozess entrümpeln, die Strafwut begrenzen, überzogene Standards zurückbauen. Aber er sollte keine neuen Richterstellen schaffen, wie jetzt gefordert werden wird. Wir haben schon zu viele.