Der EuGH urteilt, der Anleihenkauf durch die Europäische Zentralbank sei mit EU-Recht vereinbar – und widerspricht damit dem Bundesverfassungsgericht. Das muss nun weiter prüfen, meint Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Luxemburg - Mario Draghi darf also beruhigt weitermachen. Als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) – und mit dem Aufkauf von Staatsanleihen sowieso, denn das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) hat mit dem rund 60 Milliarden Euro im Monat umfassenden Kaufprogramm, das seit dem 9. März dieses Jahres läuft, nichts zu tun. Die Luxemburger Richter hatten die Ankündigung Draghis zur Eurorettung vom September 2012 im Blick. Hätten sie diese als nicht vereinbar mit dem EU-Recht befunden, es wäre womöglich eng geworden für den Mann an der Spitze von Europas Währungshütern. Aber der EuGH ist nicht gerade bekannt dafür, die Institutionen Europas zu schwächen. Eine Entscheidung gegen Draghi wäre eine faustdicke Überraschung gewesen.

 

Hätte der Gerichtshof das EZB-Programm für uneingeschränkt mit dem Europarecht vereinbar gehalten, dann wäre die Überraschung nicht ganz so groß, der Konflikt aber mindestens eben so gewaltig gewesen. Das Bundesverfassungsgericht, das den Luxemburger Kollegen die Angelegenheit vorgelegt hat, hatte zuvor entschieden, dass das angekündigte Anleihenaufkaufprogramm die Kompetenzen der EZB überschreite. Wenn nun das Europagericht klar Hü, und die Verfassungsrichter ebenso klar Hott sagen, dann gibt es ein dramatisches Problem: Karlsruhe hatte in der Vergangenheit immer erklärt, die Rechtsprechung aus Luxemburg nur so lange anzuerkennen, wie die Richter dort nicht ihre Kompetenzen überschreiten. Dann müssten deutsche Staatsorgane eine Anerkennung der Luxemburger Rechtsprechung verweigern.

Wie erwartet ist der EuGH nun einen mittleren Weg gegangen, hat das Programm für rechtens erklärt und Einschränkungen formuliert. Das ist von der Systematik her das genaue Gegenteil dessen, was das Verfassungsgericht in seinem Beschluss getan hatte. Die Karlsruher hatten das Programm als rechtswidrig gebrandmarkt, dann aber eine Hintertür geöffnet und dargelegt, unter welchen Voraussetzungen sie sich vorstellen könnten, dass die EZB ihr Anleihenkaufprogramm doch durchführen könnte. Doch auch wenn beide Gerichte einen diametral entgegengesetzten Ansatz wählen, im Ergebnis besteht die Möglichkeit, so zusammenzukommen. Ob das geschieht ist aber völlig offen. Sicher ist nur, dass die Angelegenheit mit dem Urteil des EuGH noch nicht beendet ist. Nun ist erneut Karlsruhe am Zug.

Das Beschwerdeverfahren dort war für die Zeit der EuGH-Entscheidung ausgesetzt und geht nun weiter, und es obliegt den Karlsruher Richtern zu prüfen, ob die geforderten Beschränkungen durch die Vorgaben aus Luxemburg erfüllt worden sind. Das sieht auf den ersten Blick nicht so aus. Karlsruhe hatte gefordert, dass die EZB nicht in unbegrenzter Höhe Staatsanleihen kaufen dürfe. Zudem müsse ausgeschlossen werden, dass sie an einem Schuldenschnitt mitwirkt. In dieser Deutlichkeit legt der EuGH der Zentralbank keine Zügel an. Allerdings: die Feinfühligkeit der Richter sollte nicht unterschätzt werden. Dass die Luxemburger Juristen eins zu eins den Karlsruher Vorschlag übernehmen, sich also praktisch sagen lassen, wie das Urteil auszusehen habe – das war von vorneherein unwahrscheinlich.

Die Auflagen aus Luxemburg klingen zwar nicht so weitreichend wie von Karlsruhe erwünscht, aber auch sie lassen einen gewissen Interpretationsspielraum zu. Den werden die Richter des Zweiten Senates nun auch benötigen. Zu allem Überfluss sind sie sich nämlich auch untereinander alles andere als einig.