Die Parteien rüsten sich zum Europa-Wahlkampf. Dabei wächst überall die Stimmung gegen die EU, die Zahl der Befürworter eines Austritts steigt. Nur ein Duell von zwei Spitzenkandidaten kann noch helfen.

Brüssel - Ein Spaziergang wird der heraufziehende Europawahlkampf nicht. Manche Kandidaten beschleicht ein mulmiges Gefühl, wenn sie an die Gespräche mit dem Wahlvolk denken, das Ende Mai erstmals seit Beginn der alles ändernden Eurokrise sein Kreuz auf dem Stimmzettel machen wird. Die Europäische Union, so hat der frisch gekürte SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz kürzlich von seinen ersten Wahlkampferlebnissen erzählt, rangiere auf der Beliebtheitsskala noch hinter Schweißfüßen.

 

Wie sehr den Menschen die EU stinkt, zeigen Umfragen. Auf dem ganzen Kontinent sind nationalistische Kräfte, Befürworter eines Austritts aus der Währungsunion oder gar der gesamten Gemeinschaft auf dem Vormarsch. In Großbritannien, Frankreich, Österreich und den Niederlanden könnten diese Parteien gar ganz vorne landen. Auch die Alternative für Deutschland, die am Wochenende ihre Kandidaten bestimmt hat, wird die bei der Europawahl gültige Drei-Prozenthürde wohl nehmen.

Für Rekordarbeitslosigkeit eine Quittung bekommen zu können, liegt in der Natur der Demokratie. Insofern wäre, von offen rechtsextremen Parteien einmal abgesehen, nichts gegen den Parlamentseinzug dieser Kräfte zu sagen – wenn sie denn Interesse an konstruktiver Mitarbeit signalisierten. Den meisten jedoch geht es nicht darum, die dringend reformbedürftige EU zu verbessern; sie wollen gar keine mehr. Den Laden auseinanderfallen zu lassen aber ist keine gute Option – wirtschaftlich nicht und politisch schon gar nicht. Im Jahr 2014, dem Zeitalter gegenseitiger globaler Abhängigkeit, ist niemand mehr eine Insel.

Die Europawahl darf weder Spaß-, noch Protestwahl sein

Da gilt es klarzumachen, dass die Europawahl keine Spaßwahl ist, die sie einst gewesen sein mag. Nie hatte das Europaparlament, allen Unzulänglichkeiten zum Trotz, mehr zu sagen. In der nächsten Legislaturperiode entscheidet es über große Dinge mit – vom Datenschutzniveau über die Klimapolitik bis zum transatlantischen Freihandelsabkommen. Es wäre ein Jammer, wenn bis zu einem Drittel der Abgeordneten nur poltern, aber keine Politik machen.

Wer das und eine Existenzkrise der Europäischen Union verhindern will, muss die Menschen wieder für deren Idee gewinnen. Und hier bietet der Wahlkampf auch eine Chance. Etwa wenn nicht alle unisono „Mehr Europa“ rufen, sondern verschiedene Vorstellungen von Europa sichtbar werden, zwischen denen die Menschen wirklich wählen können. Und vor allem, wenn verschiedene Personen für diese unterschiedlichen Konzepte stehen und auch die Chance bekommen, sie umzusetzen.

Wie geht Wahlkampf in 28 Staaten ohne gemeinsame Sprache?

Das ist möglich. Im neuen EU-Vertrag, der erstmals zur Anwendung kommt, heißt es – leider ziemlich vage –, dass die Staats- und Regierungschefs das Wahlergebnis berücksichtigen müssen, wenn sie den neuen EU-Kommissionschef auswählen. Daher stellen die Parteien erstmals europaweite Spitzenkandidaten für diesen Posten auf. Doch ausgerechnet Angela Merkel hat sich noch nicht dazu bekannt, das Wählervotum und die folgende Koalitionsbildung im Parlament als bindend anzuerkennen. Ohne dieses Bekenntnis aber verliert das Duell zwischen Schulz und einem noch zu benennenden Kandidaten von Merkels Europäischer Volkspartei an Reiz und Relevanz. Nur wenn klar ist, dass der Wähler wirklich die wichtigste Brüsseler Personalie direkt beeinflussen kann, besteht die Möglichkeit, ihn aus seiner EU-Apathie zu locken oder von der reinen Protestwahl abzuhalten.

Selbst dann ist der Erfolg ungewiss. Wie geht Wahlkampf in 28 Staaten ohne gemeinsame Plattform? Es soll TV-Duelle geben – getrennt nach Amtssprachen? Reicht der Bekanntheitsgrad der Kontrahenten, um die Bürger zu interessieren? Einen Versuch ist es wert. Die Kanzlerin sollte – auch wenn ihr mit einem demokratisch legitimierten Kommissionschef Konkurrenz erwächst – den Weg dafür freimachen .