Mit ihrem Urteil zu Fahrverboten haben die Richter des Bundesverwaltungsgerichts den Job gemacht, um den sich die Politiker seit Jahren gedrückt haben. Jetzt sind Regierung und Autoindustrie in der Pflicht, meint Lokalchef Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Leipzig/Stuttgart - Es wird also wieder Fahrverbote geben in Stuttgart – nicht zum ersten und ganz bestimmt auch nicht zum letzten Mal. Und doch wird das aktuelle Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf eine Art Wellen schlagen wie es selten eine verkehrslenkende Maßnahme zuvor getan hat. Denn die oberste juristische Instanz hat unmissverständlich festgelegt, dass die Grenzwerte für Stickoxid in der Landeshauptstadt schnellstmöglich einzuhalten sind – und zwar mithilfe eines Fahrverbots für vergleichsweise junge Dieselfahrzeuge, weil nur dieses „eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme darstellt“.

 

Damit haben die Richter den Gesundheitsschutz der Bürger ganz klar über den Werterhalt eines Gegenstandes, in dem Fall eines Autos, gestellt. Das klingt zwar logisch, war aber bis zuletzt heftig umstritten. Manchmal bedarf es der Reduktion einer Fragestellung auf ihren Kern, um klar zu sehen. Die Frage lautete: Was wiegt schwerer, der Wert von Maschinen oder das Wohl von Menschen? Ein Jurist aus Fleisch und Blut konnte wohl nur zu einer Antwort gelangen. Bemerkenswert freilich, dass manche Politiker und Automanager lange Zeit ernsthaft auch über andere Alternativen diskutierten.

Dabei ist es in den vergangenen Jahren nachweisbar gelungen, die Luft in den Städten – auch in Stuttgart – immer sauberer zu machen. Das hat mit der verbesserten Technik in modernen Autos und einem Bewusstseinswandel vieler Bürger zu tun, die trotz allen Unbills lieber Busse und Bahnen nutzen als im eigenen Wagen im Stau zu stehen. Trotzdem sind die Schadstoffgrenzwerte so beharrlich überschritten worden, dass vielen Stuttgartern und selbst den geduldigen Ordnungshütern der Europäischen Union inzwischen der Geduldsfaden gerissen ist. Auch von der Seite stehen Klagen ins Haus.

Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden

In Leipzig haben nun Deutschlands höchste Verwaltungsrichter den Job gemacht, den die Politiker auf Landes- und Bundesebene längst hätten erledigen müssen – nämlich einen Weg zu weisen, wie die Luft reiner wird. Dabei haben die Juristen jenes Augenmaß bewiesen, das den Damen und Herren in den Regierungszentralen so gut zu Gesicht gestanden hätte: Sie haben auf die Verhältnismäßigkeit hingewiesen und geurteilt, dass relativ neue Diesel mit der Abgasnorm Euro 5 frühestens von September 2019 an ausgesperrt werden dürfen, ältere Modelle mit Euro 4 oder schlechter dagegen schon früher. Dies ist eine Vorgabe, die von Klugheit zeugt: Sie ist eindeutig und lässt den Betroffenen doch Zeit zum Reagieren.

Eine Hardware-Nachrüstung für Euro-5-Diesel ist notwendig

Betroffen sind freilich nicht nur die Autofahrer, die überlegen müssen, wie sie mit dieser Situation umgehen. In der Pflicht sind vor allem die Regierenden in Bund und Land sowie die Chefs der Autohersteller. Sie müssen sich, wenn sie wieder das Heft des Handelns in die Hand bekommen wollen, auf zwei wesentliche Punkte verständigen: auf eine bundesweit einheitliche Kennzeichnungsregelung von sauberen Fahrzeugen neuester Generation (also auf die Blaue Plakette) und auf eine möglichst effektive Verbesserung der bisherigen Schadstoffwerte bei Euro-5-Dieseln. Ein Software-Update, wie es die Industrie angeboten hat, reicht keinesfalls aus.

Neue Untersuchungen haben gezeigt, dass Hardware-Nachrüstungen wesentlich besser sind. Hinter diese technischen Möglichkeiten darf die Innovationsrepublik Deutschland nicht zurückfallen, wenn sie sich nicht erneut blamieren und ihre Kunden nicht weiter täuschen will. Dass sie es können, haben Politik und Autoindustrie vor zehn Jahren schon mal gezeigt, als die jetzt gültigen Umweltzonen und die damit verbundenen Fahrverbote für ältere Fahrzeuge mit gelben und roten Plaketten eingeführt und von einer Nachrüstungsoffensive begleitet wurden. Was damals ging, müsste doch heute erst recht möglich sein.