Die SPD will ihren ehemaligen Abgeordneten Sebastian Edathy aus der Partei ausschließen. Die Unschuldsvermutung gilt offensichtlich nicht mehr viel, kommentiert Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - In der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, verabschiedet im Jahr 1948, gibt es einen Artikel 11 mit folgendem Wortlaut:„Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“ Die hier beschriebene Unschuldsvermutung gehört zu den elementaren Bestandteilen jeder rechtsstaatlichen Ordnung.

 

Im Fall des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy scheinen weder die UN-Menschenrechtserklärung noch das Grundgesetz viel zu gelten. Die Unschuldsvermutung ist hier offensichtlich außer Kraft gesetzt.

Edathy ist von den zuständigen Staatsanwälten bloßgestellt worden, die auf einer Pressekonferenz bis ins Detail aus der Ermittlungsakte vortrugen. Er ist von der Öffentlichkeit längst als Rechtsbrecher abgeurteilt, obwohl ihm bisher nicht einmal die Staatsanwaltschaft selbst eine strafbare Handlung nachweisen kann. Die „Bild“-Zeitung fordert auf, Edathy das Übergangsgeld zu streichen, das ihm als ausgeschiedener Bundestagsabgeordneter zusteht – es wäre ein schlicht rechtswidriger Akt. Und nun überzieht ihn auch noch seine Partei, die SPD, mit einem Parteiausschlussverfahren – obwohl noch lange nicht aufgeklärt ist, welcher moralischen oder rechtlichen Vergehen sich Edathy wirklich schuldig gemacht hat.

Parteiausschluss gehört zu den schärfsten Schwertern

Natürlich hat eine Partei das Recht darüber zu wachen, wer ihr angehört und für sie auftritt. Aber in einer Demokratie gehört der Parteiausschluss zu den schärfsten Schwertern innerparteilicher Ordnung. Es sollte – gerade in einer so alten und erfahrungsgesättigten Partei wie der SPD – mit Bedacht eingesetzt werden. Die Sozialdemokraten haben erst vor kurzem, im Fall Sarrazin, die Grenzen solcher Verfahren ausgetestet. Sarrazin ist noch immer Genosse, aber die SPD-Führung um Sigmar Gabriel scheint daraus keine Lehren gezogen zu haben.

Was ist, wenn die Staatsanwälte am Ende keine Anklage gegen Edathy erheben? Wenn sich herausstellen sollte, dass dem Mann vielleicht ein moralischer, aber kein strafrechtlicher Vorwurf zu machen ist? Lädt die SPD Edathy dann wieder ein, Mitglied zu werden? Oder will sie fortan jeden Genossen, der moralisch bedenklich handelt oder gar die Grenze zur Gesetzesverletzung überschreitet, aus der SPD ausschließen?

Der Eindruck drängt sich auf, dass die SPD-Führung um Sigmar Gabriel wenig Gedanken auf solche Fragen verschwendet, sondern sich nur politisch reinzuwaschen versucht. Sie ist durch die Affäre Edathy unter Druck geraten – aber nicht nur wegen des Handelns ihres früheren Abgeordneten, sondern auch durch eigenes Verhalten: ihrem Herumgetratsche nach der Information durch Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich. Nun suchen Gabriel & Co. symbolische Taten, die den schlechten Eindruck möglichst schnell vergessen machen soll.

Kinderpornografie und Kindesmissbrauch müssen scharf geahndet und gesellschaftlich geächtet werden. Aber es sollten nicht gleich alle rechtsstaatlichen und politischen Sicherungen durchknallen, wenn es Vorwürfe gegen einen (politisch) Prominenten gibt.