Der behinderte Weitspringer Markus Rehm darf nicht bei der Leichtathletik-EM der Nicht-Behinderten starten. Das ist aber nicht diskriminierend, sondern fair, meint der StZ-Sportredakteur Tobias Schall.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Es ist also entschieden. Markus Rehm darf nicht bei der Leichtathletik-Europameisterschaft starten. Es ist der vorläufige Endpunkt, aber nicht das Ende einer wichtigen Diskussion um Inklusion und Chancengleichheit im Hochleistungssport. Die Geschichte des Markus Rehm sorgt über den Sport hinaus für Diskussionen. Der Göppinger hat ein grandioses Zeichen gesetzt für die Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung – und er ist mitten in die gesellschaftspolitische Frage der Inklusion gesprungen, also der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung. „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Das steht in Artikel drei des Grundgesetzes.

 

Inklusion im Sport ist kompliziert, weil es grundsätzlich eine klare Trennung von Behinderten und Nichtbehinderten gibt. Hier der paralympische Bereich, dort der olympische Teil. Ernsthafte Diskussionen darüber gab es lange nicht, zu groß waren die Leistungsunterschiede zwischen den Sportwelten, als dass es Versuche gegeben hätte, sie zu vermischen.

In den vergangenen Jahren sind die Grenzen durch die Professionalisierung des Behindertensports und den Fortschritt der Technik aufgeweicht worden – auch wenn es auf Spitzenniveau kaum Streitfälle gibt: Der sehbehinderte irische Sprinter Jason Smyth etwa hat an Welt- und Europameisterschaften teilgenommen, die polnische Tischtennisspielerin Natalia Partyka, der der rechte Unterarm fehlt, ist bei Olympia gestartet. Debatten gab es keine.

Warum auch? Diese beiden Athleten haben keinen Zugewinn an Leistung. Und auch das macht es eben kompliziert. Ein Behinderter darf, wenn er entsprechend gut ist, bei Großereignissen nur dann starten, wenn er Nachteile oder zumindest keine Vorteile hat. Und das unterscheidet diese Fälle von der Situation bei Markus Rehm oder bei dem 400-Meter-Läufer Oscar Pistorius. Dort gibt und gab es Zweifel.

Inklusion wird an der Basis schon oft gelebt

Die einfachste Lösung ist eine konsequente Trennung ohne Ausnahme, wie manche fordern. Hier Behinderte mit technischen Hilfsmitteln wie Prothesen, dort Nichtbehinderte. Keine Diskussionen, keinen Streit, keine aufwendigen Untersuchungen. Aber das kann nicht wirklich die Lösung sein. Alle gesellschaftlichen Bereiche arbeiten an der Teilhabe von Behinderten – nur der Sport trennt klarer denn je?

Inklusion im Sport wird an der Basis schon oft gelebt so gut es geht – und der Spitzensport darf sich nicht davor verschließen. Er darf keine pauschalen Entscheidungen propagieren, sondern muss den Einzelfall, der bisher nicht häufig eintritt, prüfen. Das mag aufwendig sein und anstrengend, aber es ist gerecht. Es ist auch keine Frage der Political correctness, sondern des Fairplay: Mit welchem Recht sollte einem behinderten Spitzensportler, der nachgewiesenermaßen keinen Vorteil hat, die Teilhabe an einer EM verwehrt bleiben?

Der DLV hätte früh Klarheit schaffen können

Es gibt keine Norm für den Athleten. Menschen können groß oder klein sein, dick oder dünn, und je nach dem von der Natur gegebenen Körper haben sie Vor- oder Nachteile. Schon immer konkurrieren also Individuen mit unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen, aber der Sport muss Grenzen ziehen und zumindest versuchen, Chancengleichheit herzustellen. Das ist alternativlos. Und wenn ein Athlet durch seine Prothese einen Vorteil hat, wovon der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) überzeugt ist, ist es auch richtig, ihn nicht starten zu lassen. Das ist nicht diskriminierend, sondern fair.

Die Diskussion um Markus Rehm und die wissenschaftliche Analyse unter Zeitdruck hätte sich vermeiden lassen. Seit 2013, als er seine Bestweite auf 7,95 Meter steigerte, war klar, dass dieser Ausnahmekönner das Potenzial hat, bei den Nichtbehinderten vorne mitzuspringen. Der DLV hat es versäumt, Klarheit zu schaffen und ist so in diese Diskussion hineingestolpert.