Die FDP hat bewiesen, dass doch mehr in ihr steckt als Selbstvernichtungspotenzial und Überdruss am eigenen Führungspersonal, stellt unser Kommentator Armin Käfer fest. Aber für eine Regierungsbeteiligung reicht das noch nicht.
Berlin - Das Wochenende, an dem in Berlin der Winter zurückgekehrt ist, bedeutet für die Liberalen eine Art Frühling. Diese fatal derangierte Partei – FDP abgekürzt – bewies bei ihrem Konvent in der Hauptstadt, dass doch mehr in ihr steckt als Selbstvernichtungspotenzial, Überdruss am eigenen Führungspersonal und eine Programmatik, die ihr Verfallsdatum schon hinter sich hat. Philipp Rösler, der lange Zeit glücklose Insolvenzverwalter dieses politischen Unternehmens, und Rainer Brüderle, der im Wahljahr das Marketing ankurbeln soll, haben ihrer Truppe wieder Selbstgewissheit und Kampfesmut eingeflößt.
Nun bedeutet ein halbwegs unfallfrei bewältigter Notparteitag noch keine Wiedergeburt. Aber die FDP erweist sich als Phoenix unter den Parteien. Die Phase der ruinösen Selbstlähmung scheint überwunden. Ein Comeback kann gelingen.
Rösler und Brüderle haben Rückhalt in der Partei
Im Rückblick wird deutlich, welche Misere die Liberalen durchlitten haben: Vor vier Jahren führte sie der wortmächtige, erfolgsversessene, kampagnenerprobte Guido Westerwelle in den Wahlkampf. Sie waren mit klaren, wenn auch illusionären, letztlich unseriösen, ja verhängnisvollen Wahlversprechen angetreten: Steuernachlässen in zweistelliger Milliardenhöhe. Das reichte für einen fulminanten, historisch beispiellosen Wahlerfolg. Inzwischen werden sie bundesweit bei Umfragen kaum noch auf ein Drittel der damaligen Stärke taxiert. Statt eines dominanten Solisten an der Spitze führt ein ungleiches Duo die Partei – Cäsar und Brutus regierten hier gemeinsam, so hämt die Konkurrenz: einer der „Säuselliberalen“, der bisher allenfalls Talkshow-Tonlage beherrscht, und ein Dampfplauderer, der sich als wandelnder Herrenwitz verspotten lassen musste, sollen die FDP in ihren parlamentarischen Überlebenskampf führen. Noch ist ungewiss, ob das gelingen kann. Ein Anfang ist gemacht. Immerhin scheint das Duo vorerst Rückhalt in der Partei zu genießen.
Die Liberalen reden über Inhalte, nicht nur über Personal
Die FDP hat ihre zersetzenden Personalquerelen eingestellt, zumindest vorübergehend. Nachhutgefechte gab es noch bei der Präsidiumswahl. Die sind nicht unmittelbar dem Vorsitzenden anzulasten, lassen aber erahnen, wie fragil seine Autorität ist und wie tief gespalten seine Partei.
Zumindest lassen sich die Liberalen aber nicht mehr ausschließlich von internen Machtkämpfen vereinnahmen. Sie reden wieder über ihr Selbstverständnis. Sie besinnen sich auf die Frage, welche Rolle sie auf dem Markt der politischen Ideen spielen wollen. Für eine liberale Partei im ursprünglichen Sinne gäbe es durchaus eine Marktlücke. Liberalismus ist aber mehr als Deregulierung und Steuergeschenke – das immerhin hat die FDP inzwischen gelernt. Es gibt noch viele Fragen, auf die andere Parteien nur unzulängliche Antworten bieten: Wie lässt sich der Sozialstaat vor Überstrapazierungen bewahren? Was rettet eine offene Gesellschaft vor Regulierungswut und Verbieteritis? Wie lassen sich bürgerliche Freiheiten und das Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter schützen? Was hemmt die Wirtschaft, was hindert Investitionen? Und was bedeutet Verantwortungsethik jenseits konservativer Gesinnung und linker Ideologie?
Regierungsbeteiligung nicht ausgeschlossen
Im Moment mag es vielen noch wie ein Treppenwitz der Zeitgeschichte erscheinen: Doch es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Rekonvaleszenz der FDP bis zur Wahl im Herbst so weit fortgeschritten ist, dass die Liberalen als Juniorpartner der Kanzlerin Merkel weiter regieren können. Dazu müssen sie sich von deren Übermacht emanzipieren, die Fehler der eigenen Vergangenheit überwinden, eine neue Eigenständigkeit gewinnen – ohne bloß als Störenfried des schwarzgelben Regierungsbetriebs wahrgenommen zu werden. Auf das Duo Rösler/Brüderle warten Herkulesaufgaben. Die ersten Bewährungsproben heißen Homo-Ehe und Mindestlohn.