Beim G-20-Gipfel in Hamburg prallen völlig unterschiedliche Weltsichten aufeinander. Das macht konkrete Ergebnisse schwierig, dennoch ist das Treffen wertvoll, kommentiert Politikredakteur Christopher Ziedler.

Hamburg - Was kann daran falsch sein, wenn die politischen Vertreter von zwei Dritteln der Erdbevölkerung diskutieren, wie sie die Welt verbessern können? Der G-20-Gipfel, der an diesem Freitag in Hamburg beginnt, beschäftigt sich mit lohnenden Zielen: Es geht um Regeln für Schattenbanken, die den Casinokapitalismus entschleunigen sollen, Investitionen und Förderkredite für Frauen in Afrika. Unternehmen sollen Verantwortung entlang ihrer Lieferketten übernehmen und so die Menschenrechte und Sozialstandards in Entwicklungsländern stärken. Es gibt Pläne, um besser gegen Epidemien wie den Ebola-Ausbruch 2014 gewappnet zu sein. Kaum jemand wird diese Vorhaben schlecht finden können.

 

Das gilt genauso für das überwölbende Thema des Gipfels, dem die Bundesregierung das Motto „Eine vernetzte Welt gestalten“ verpasst hat. Angela Merkel will den Teilnehmern ein grundlegendes Bekenntnis zu internationaler Kooperation in schwieriger Zeit abringen. Die Kanzlerin erhofft sich ein Signal im Sinne eines „Wir haben verstanden“, dass sich die Herausforderungen dieser Zeit nur mit- und nicht gegeneinander bewältigen lassen. Das ist angesichts ihrer Gäste, die „America first“, „Russia first“ oder „Turkey first“ propagieren, eine große Herausforderung.

Das realpolitisch Machbare dominiert

Eine Erfolgsgarantie gibt es im Gegensatz zu anderen Gipfeln mit vorgefertigten Abschlusserklärungen nicht. Es handelt sich tatsächlich um einen Showdown zwischen Globalisierung und Protektionismus mit offenem Ausgang. Gerade bei Themen wie dem Klimaschutz ist zu erwarten, dass das G-20-Treffen ohne Ergebnisse bleiben wird. Sein Mehrwert liegt vor allem darin, auch in angespannter Lage miteinander im Gespräch zu bleiben. An anderen Stellen mag es Kompromisse geben, die in die richtige Richtung zielen.

Das realpolitische Machbare dominiert in Hamburg. Das ist durchaus wertvoll und sollte nicht verunglimpft werden. Die Vorstellung, es gäbe nicht einmal mehr den Versuch, zwischen den so unterschiedlichen Vorstellungen zu vermitteln, erscheint als Graus. Und doch behandelt die G-20-Runde eben nicht alles in der Realität Notwendige, um die großen Gerechtigkeits- und Zukunftsfragen zu lösen. In diesem Punkt lässt sich den Gipfelkritikern schlecht widersprechen – ganz abgesehen davon, dass G 20 die Vereinten Nationen als globales Zukunftsorgan schwächt und weit über 150 Länder außen vor lässt.

Große Reformen sind derzeit nicht realistisch

Nichts findet sich auf der Tagesordnung zur Kontrolle von Rüstungsexporten, die das Kriegführen leichter machen und die menschliche Entwicklung behindern. Das Ziel fairer Handelsbeziehungen beziehen die weltweit zwanzig größten Volkswirtschaften vorrangig auf sich selbst und nicht auf kleinere Staaten, wie manches für diese nachteilige Handelsabkommen zeigt.

Das Bankensystem mag im Vergleich zum Finanzkrisenhöhepunkt stabilisiert worden sein – für die gesellschaftlichen Schäden muss die Geldindustrie, etwa über eine Finanztransaktionssteuer, immer noch nicht aufkommen. Dass internationale Konzerne quasi selbst entscheiden dürfen, in welchem Land sie Steuern zahlen und in welchem nicht, gehört ebenfalls zu den großen Ungerechtigkeiten unseres Wirtschaftssystems.

Es wäre unfair und undemokratisch zu unterstellen, die gewählten Vertreter am G-20-Tisch hätten diese Probleme nicht auf dem Schirm oder stünden allesamt unter der Knute von Lobbyisten. Die realpolitische Lage mit Trump & Co ist im Moment aber so weit entfernt von einem Zustand, der große Reformen ermöglicht, dass etwa im Bundeskanzleramt ein Erhalt des Status quo oder kleine Trippelschritte in die richtige Richtung schon als Erfolg gewertet würden. Diesen Stillstand anzuprangern, ist aus der anderen Perspektive heraus aber ebenso verständlich.

Die zehn wichtigsten Fakten zum Gipfel sehen Sie im Video: