Der Bund unterstützt die Städte in ihrem Kampf gegen Fahrverbote. Das ist richtig. Doch sowohl in Berlin als auch in Stuttgart fehlt ein Masterplan, findet StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Nun gut, nach dem Gipfel im Kanzleramt erhalten die Kommunen deutlich mehr Geld für Maßnahmen, um Fahrverbote abzuwenden. Das ist absolut sinnvoll, und in Wahlkampfzeiten wäre ein anderes Ergebnis überraschend gewesen. Der Geldsegen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gipfel notdürftig weiße Salbe auf politische Fehler älteren und jüngeren Datums schmiert.

 

Dass in Städten wie Stuttgart Fahrverbote drohen, war absehbar, seit Anwohner und Umweltaktivisten Klagen eingereicht haben und die EU mit Strafzahlungen drohte. Ebenso absehbar war, dass am Ende womöglich die Gerichte und nicht die Politik darüber entscheiden. Verhindert hätte das ein beherztes Vorgehen der Bundesregierung bei der Blauen Plakette, die zwar auch auf Fahrverbote setzt, dies allerdings planbar und mit entsprechenden Übergangsfristen.

Doch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt lehnte nicht nur die Blaue Plakette ab; er war in der Legislaturperiode ohnehin vorwiegend mit der Einführung der in dieser Form sinnfreien Pkw-Maut beschäftigt. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung die Autohersteller beim Dieselgipfel zu früh von der Pflicht zur Hardware-Nachrüstung entbunden hat. Zwar hätte sie nicht, wie auch gefordert wird, für alle Fahrzeuge greifen müssen, aber zumutbar für die Branche wäre mindestens gewesen, Taxen oder andere Fahrzeuge nachzurüsten, die praktisch ausschließlich in Innenstädten unterwegs sind. Aufwand und Nutzen hätten hier in sinnvollem Verhältnis gestanden.

Einzelne Maßnahmen greifen, aber es fehlen Vision und Anspruch

Doch das ist vergossene Milch: Die Kommunen haben nach dem Gipfel mehr Mittel zur Verfügung , um die Schadstoffbelastung in den Innenstädten zu reduzieren. Dies kommt auch Stuttgart zugute. Doch die Stadtspitze hat zu dem Thema noch nicht die rechte Haltung gefunden. Zwar sind die im Luftreinhalteplan enthaltenen Maßnahmen durchaus sinnvoll – das Jobticket für Beschäftigte etwa ist ein großer Erfolg –, aber über die Einzelmaßnahmen hinaus fehlen Vision und Anspruch.

Nur wenig deutet darauf hin, dass die Stadt, in der die Mobilität heutiger Prägung erfunden wurde, auch der Vorreiter für neue Verkehrskonzepte sein will. Da passt es ins Bild, dass der an sich auf der bundespolitischen Bühne versierte Oberbürgermeister Fritz Kuhn sich nicht etwa zum Sprachrohr der betroffenen Kommunen gemacht hat, sondern im Kanzleramt in der Masse der Kommunalvertreter mitschwamm.

Dabei wäre es gerade in Stuttgart, wo Segnungen und unerwünschte Nebenwirkungen der Automobilität so klar wie nirgendwo sonst zutage treten, vonnöten, aus der Not eine Tugend zu machen und Konzepte für die Stadt von morgen zu entwickeln. Innovative Lösungen würden auch das durch Feinstaubalarm und die schmutzigste Kreuzung Deutschlands am Neckartor angegriffene Image der Stadt wieder aufpolieren. Erforderliche kurzfristige Maßnahmen – jenseits von Verboten – liegen auf der Hand: Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, unter anderem in eine Tarifstruktur, die einfacher und preiswerter ist, oder ein deutlicher Ausbau der Elektromobilität, etwa durch das Aufstellen von mehr Ladesäulen in der Innenstadt.

Verantwortung liegt in Stuttgart

Der Bund kann und muss den Kommunen helfen, mit den unerwünschten Nebenwirkungen der Mobilität klarzukommen. Doch die Verantwortung dafür liegt vor Ort. Hier ist Kreativität gefragt, die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Nirgendwo sonst in der Republik sind Leidensdruck einerseits und Kompetenz in Wirtschaft und Wissenschaft andererseits so konzentriert wie hier. Und Stuttgart hat mit dem Rosensteinviertel die Möglichkeit, im Stadtzentrum ein Labor für diese Herausforderung zu gestalten. Es ist höchste Zeit, dass die Stadt diese Chance ergreift.