Ein Jahr vor der Bundestagswahl wirft die Bundesregierung mit Geschenken um sich. Die Kanzlerin erkauft sich damit Ruhe im eigenen Lager, meint der Berliner Büroleiter der StZ, Armin Käfer. Aber das Ansehen der Regierung rettet dies nicht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Der Nikolaustag ist erst in einem Monat. Und bis Weihnachten dauert es sogar noch länger. Dank Schwarz-Gelb ist aber jetzt schon Bescherung. Die Koalition verspricht Geschenke für fast alle: Arme Rentner dürfen auf höhere Altersbezüge hoffen. Familien winkt das Betreuungsgeld. Kassenpatienten bleibt künftig die Praxisgebühr erspart. Doch diese willfährige Wohltatenpolitik hat weniger mit den bevorstehenden Feiertagen als mit den Wahlterminen im kommenden Jahr zu tun. Union und FDP wollen sich beim Wahlvolk einschmeicheln. Die Kanzlerin erkauft sich damit Ruhe im Regierungslager.

 

Politisch profitieren von dem koalitionären Kuhhandel drei Profilneurotiker in Merkels Machtbündnis: Horst Seehofer, Philipp Rösler und Ursula von der Leyen. CSU-Chef Seehofer darf mit seinem Ladenhüter Betreuungsgeld heimreisen. Für ihn hat diese neue Sozialleistung, vielleicht die unsinnigste von allen, den Wert einer Trophäe. Sie ist ein Symbol gegen moderne Familienpolitik, die vor allem auf ausreichende und gleichwertige öffentliche Angebote zur Betreuung von Kleinkindern setzt. Der Beifall ländlicher Wähler wiegt für Seehofer schwerer als vernünftige Einwände.

Röslers letzter glorreicher Auftritt?

Rösler, der FDP-Vorsitzende auf Abruf, hatte gestern womöglich seinen letzten glorreichen Auftritt, nachdem er der Union mit der Praxisgebühr bereits zum zweiten Mal einen Preis für das Betreuungsgeld abverhandelt hat. Vor einem Jahr hatte er der CSU-Prämie schon einmal zugestimmt, aber aus den Steuernachlässen, welche die FDP damals damit verknüpft hatte, ist nichts geworden. Merkel muss sich jetzt zumindest nicht nachsagen lassen, sie sei schuld am parlamentarischen Exitus der FDP, weil sie dieser so gar nichts gönne.

Von der Leyen wiederum ist nun ein erster Triumph als Jeanne d’Arc im Kampf gegen die Altersarmut vergönnt. Das stärkt ihren Rang als zweitwichtigste Frau in der CDU – und nutzt auch der allerwichtigsten: Merkel selbst. Sie munitioniert sich so für einen Gerechtigkeitswahlkampf, den die linke Konkurrenz im Sinn hat.

Nicht alle Beschlüsse sind unsinnig

Bei manchen Paketen auf dem schwarz-gelben Gabentisch hält die Substanz nicht, was die Verpackung verspricht. Das Betreuungsgeld wird in vielen Fällen eine angemessene Kinderbetreuung eher verhindern als begünstigen. Und von der Leyens „Lebensleistungsrente“ hilft zunächst nur wenigen. Aber nicht alle Beschlüsse, die auf einem politischen Basar zustande kommen, sind automatisch unsinnig. So gibt es durchaus gute Gründe, die Praxisgebühr abzuschaffen. Sie hat ihren Zweck nie erfüllt. Allerdings handelt die Koalition hier gegen eigene Überzeugungen. Wer Selbstverantwortung predigt, sollte ein solches Instrument nicht streichen, ohne an anderen Stellen Stellschrauben einzurichten, die dem gleichen Ziel dienen. Zudem birgt diese Wohltat zu Gunsten der Kassenpatienten das Risiko steigender Lohnnebenkosten – in Gestalt höherer Beiträge.

Die Nacht der Geschenke wird das Ansehen dieses Bündnisses nicht retten. Deutschland steht in Europa bestens da, die Regierung hat aber bei den eigenen Bürgern einen schlechten Ruf. Der ist wohlverdient. Auch im Vorfeld des vorerst letzten schwarz-gelben Koalitionsgipfels herrschte vor allem gemeinsames Gegeneinander – und das chaotische Politikmanagement, ein Markenzeichen, setzte sich danach unmittelbar fort. Ihr größtes Versprechen hat diese Koalition nicht einzulösen vermocht: eine Steuerreform, die den Namen verdient. Ihre bedeutendste Leistung – der beschleunigte Atomausstieg – war das glatte Gegenteil dessen, was angekündigt war. Doch eine Neuauflage ist keineswegs auszuschließen. 2013 steht ja nicht Schwarz-Gelb zur Wahl, sondern eine trotz allem hoch populäre Kanzlerin, in deren Sog die Union eine Stärke erreichen könnte, die es erlaubt, auch mit einer auf Normalmaß geschrumpften FDP weiter zu regieren.