Jeden Tag tauchen Sprengsätze an Gleisen auf. Die Gesellschaft muss sich gegen militanten Linksextremismus abgrenzen, schreibt Katja Bauer.

Berlin - Haben wir es bei den Attentaten auf die Bahn mit dem Beginn eines neuen Linksterrorismus zu tun? Beim Blick auf die aktuelle politische Debatte könnte man den Eindruck gewinnen, als sei die Antwort auf diese Frage die Lösung im Kampf gegen die Extremisten. Dass die Politik dem Terrorismusreflex erliegt, ist historisch nachvollziehbar. Schließlich hat die RAF mit ihrem Terror das Land unter Druck gesetzt wie kein Gegner zuvor oder danach. Der Vergleich, den manche jetzt ziehen, ist trotzdem falsch. Die RAF radikalisierte sich mit einem klaren Ziel aus einer breiten Bewegung junger Menschen heraus, die sich gegen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse wandten. Eine vergleichbar organisierte Terrorgruppe ist bis jetzt nicht zu beobachten.

 

Allerdings warnen Experten seit einigen Jahren vor einer wachsenden Zahl gewaltbereiter Linker, deren Militanz zunimmt. Polizisten werden angegriffen, es gibt Anschläge auf Arbeitsämter und Abgeordnetenbüros. Es ist, wie jetzt in Berlin, unklar, ob es sich bei den Tätern um wenige Spinner oder eine organisierte Truppe handelt und wie hoch das Gefährdungspotenzial ist. Genau darin liegt die Schwierigkeit. Wir wissen viel zu wenig, um die Lage einschätzen zu können. Warum ist das so?

Was wollen Linksextremisten eigentlich?

Die Antwort, der Staat sei auf dem linken Auge blind gewesen, ist zu einfach. Nach dem Fall der Mauer hat sich die Aufmerksamkeit zu Recht auf das drängendere Problem von rechts konzentriert. Und seit 2001 hat die Gesellschaft in islamistischen Terrornetzwerken Gegner, deren Destabilisierungspotenzial man überhaupt nicht mit der Berliner Aktion vergleichen kann.

Unabhängig davon gibt es ein spezifisches Problem beim Blick nach links: Neonazis zum Beispiel haben einen gemeinsamen Nenner - ihre menschenverachtende Ideologie, wonach die Herkunft oder Rasse eines Individuums über dessen Wert bestimmt. Dagegen muss sich unsere Gesellschaft mit ihren Werten naturgemäß aussprechen. Aber was wollen Linksextremisten eigentlich? Die Antwort ist nicht leicht. Die Sicherheitsbehörden stehen vor einer zersplitterten Szene, die nicht hierarchisch organisiert und schwerer zu durchdringen ist als das rechte Lager. Hier sehen Experten eine Schwierigkeit bei der Prävention. Zwar hat der Bund Geld für Anti-links-Projekte bereitgestellt. Aber es ist schlicht unmöglich, Konzepte, die gegen autoritäre Rechte wirksam waren, zu übernehmen. Denn links ist nicht gleich rechts.

Dort, wo wir nicht auf ein gewaltbereites Spektrum blicken, verwischen Grenzen: Jenseits extremistischer Bestrebungen nach einer kommunistischen oder herrschaftsfreien, also autonomen Welt gibt es im linken Lager Ziele, die konform sind mit denen in der Mitte der Gesellschaft: Antifaschismus etwa oder Chancengleichheit.

Es braucht eine deutliche Abgrenzung

Linksextremisten schließen sich unterschiedlichen Protestströmungen an oder sind Teil davon. Es gibt sie unter Globalisierungskritikern, Bürgerrechtsverteidigern, Sozialabbaugegnern und womöglich auch unter jenen, die an diesem Samstag gegen das Bankensystem demonstrieren werden. Das alles geschieht in einer Situation, da bei vielen Menschen das Vertrauen in das politische System sinkt, Probleme zu lösen, und ein Protestpotenzial heranwächst. Es bestehen also Abgrenzungsschwierigkeiten. Linksextremismus ist in seiner Verfassungsfeindlichkeit leicht zu definieren. Aber es gibt Ziele, die von Linksextremisten geteilt werden, die auch wir nicht ächten wollen.

Gerade deshalb braucht es eine deutliche Abgrenzung. Jenseits der Frage nach dem politischen Ziel besteht ein gesellschaftlicher Konsens, der in jede Richtung gelten und verteidigt werden muss, auch nach links: Gewalt ist in der Demokratie immer unabhängig von ihrem Ziel zu ächten, und wer dem von der Mehrheit getragenen Staat auf diese Weise versucht, seinen Willen aufzunötigen, der ist sein Gegner.