Die Lokführer schaden der Bahn - aber auch sich selbst. Mit den Streiks gefährden sie die Existenz ihrer Gewerkschaften, so StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Deutsche Bahn gibt ein fast bemitleidenswertes Bild ab. Im Winter wie im Sommer, in Stuttgart wie in Berlin und anderswo kommt sie aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Meist sind es hausgemachte Probleme, mit denen sie sich herumplagt. Die Gewerkschaft der Lokführer schert sich wenig um die Imagemängel des Schienenkonzerns. Ihre Streiks waren aber lange zuvor absehbar und hätten mit mehr Verständigungsbereitschaft verhindert werden können. Nun nimmt die Bahnführung die Ausfälle billigend in Kauf.

 

Im Kern fordert die Gewerkschaft einen einheitlichen Tarifvertrag für alle 26.000 Lokomotivführer. Ein solches Ansinnen ist genauso legitim wie ein Arbeitskampf. Allerdings muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, und da sind nun Zweifel angebracht. Wer vier von fünf Fahrten im Güter- und Personenverkehr blockiert oder massiv behindert, reizt seine Macht im Übermaß aus - zumal am Verhandlungstisch die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind. Wann endlich einigen sich die Konfliktparteien auf einen Vermittler?

David hat sich gegen Goliath durchgesetzt - und holt nun erneut aus

Dass die Gewerkschaft so kompromisslos agiert, hat mit ihrem Unabhängigkeitskampf 2007 und 2008 zu tun. Damals fiel der Bahnführung kaum Besseres ein, als die GdL gegen die größere Gewerkschaft Transnet auszuspielen, sie immer wieder vor Gericht zu ziehen und mit strategischen Manövern zu provozieren. Dennoch hat sich David gegen Goliath durchgesetzt. Er hat einen eigenständigen Tarifvertrag plus elfprozentiger Lohnerhöhung erstritten, dabei viele neue Mitglieder gewonnen und sich keineswegs alle Sympathien verscherzt. Auf diesen Erfahrungen aufbauend holt die GdL nun zum nächsten Schlag aus - und könnte sich dabei überschätzen.

Diesmal ist das Vorgehen fragwürdig, weil es der GdL vor allem daran gelegen ist, ihren tarifpolitischen Vorsprung gegenüber der Transnet-Nachfolgeorganisation auszubauen. Zudem hat sie zwar die Regionalbahnen im Visier, denen das neue Tarifwerk aufgezwungen werden soll, bestreikt jedoch stellvertretend die Deutsche Bahn. Streikziel und Streikwirkung stehen also in krassem Missverhältnis zueinander. 

Kaum eine Berufsgruppe hat so viel Einfluss wie die Lokführer

So tut sich ein bizarres Ungleichgewicht auf: Auf der einen Seite kommt die Mammutgewerkschaft Verdi im öffentlichen Dienst nur mühsam voran, weil sie mit ihren Protesten wenig öffentliche Wahrnehmung erzielt und den Ländern kaum wehtun kann. Auf der anderen Seite vermag eine kleine Funktionselite der Lokführer mit nicht einmal tausend Streikenden den Verkehrsfluss in der Republik zu lähmen.

Kaum eine andere Berufsgruppe hat so viel Einfluss. Dennoch dürfte die GdL weitere Spezialistenverbände ermutigen, sich vom Gewerkschaftsbund loszusagen und auf eigene Faust in den Kampf zu ziehen. Das Bundesarbeitsgericht hat ihnen grünes Licht gegeben. Es stützt den an sich sinnvollen Pluralitätsgedanken, wonach immer differenziertere Bedingungen der Arbeitswelt von unterschiedlichen Organisationen ausgehandelt werden sollen. Ein langer Egotripp der Lokführer hingegen bestätigt all jene, die eine Erosion der Tariflandschaft und Chaos in den Betrieben befürchten.

Die Arbeitgebervereinigung und der Gewerkschaftsbund wollen den Grundsatz "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" wiederhergestellt sehen. Die Bundesregierung verhält sich bisher fast neutral und zögert ihre Entscheidung über ein neues Gesetz hinaus. Der Streik der GdL bringt sie in Zugzwang. Er gibt jenen Kräften der Koalition beste Argumente an die Hand, die der jeweiligen Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb alle Macht überlassen wollen. Dies mag die Lokführer anstacheln, jetzt herauszuholen, was herauszuholen ist. Rechtlich gesehen festigen sie ihre Position nicht, sondern gefährden die Existenz der Minigewerkschaften. Mit ihrem Arbeitskampf versetzen sie vielleicht wochenlang die Republik in Unruhe, erzielen am Ende aber einen Pyrrhussieg.