In China übernimmt eine neue Generation von Politikern die Verantwortung. Ihr Vorgänger haben viel erreicht, hinterlassen aber auch ein Land mit enormen Problemen, urteilt Bernhard Bartsch, der China-Korrespondent der StZ.

Peking - Ihre hellsten und dunkelsten Momente hatte Chinas Kommunistische Partei in Situationen existenzieller Bedrohung. Der Winter 1978 war ein solcher Augenblick. Mao Tse-tung war seit zwei Jahren tot und die Partei ratlos, wie es mit dem von drei Jahrzehnten Revolutionsirrsinn ausgelaugten Land weitergehen sollte. In der Not sprang sie über den eigenen Schatten: Unter der Führung von Deng Xiaoping warf sie ihre kommunistische Ideologie über Bord und schwenkte auf den kapitalistischen Weg ein. Der Rest ist Geschichte.

 

Auch im Frühsommer 1989 stand die Partei mit dem Rücken zur Wand. Wochenlang demonstrierten Studenten auf Pekings Platz des Himmlischen Friedens für demokratische Reformen. Doch Deng Xiaoping weigerte sich, beim Machtanspruch der Partei Kompromisse zu machen, und ließ die Armee anrücken. Der Rest ist ebenfalls Geschichte. Heute, im Herbst 2012, glauben viele Chinesen, dass ihr Land abermals auf einen Wendepunkt zusteuert und die neue Führungsgeneration um Xi Jinping, die in diesen Tagen ins Amt gehoben wird, vor der schicksalhaften Entscheidung stehen wird, an welche Tradition der Partei sie anschließen will: die Flucht nach vorn oder den Rückfall in Repressionen.

Die neue Führung kann sich nicht ausruhen

Vordergründig übernehmen Xi und die sogenannte Fünfte Führungsgeneration das Erbe einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Unter Hu Jintaos zehnjähriger Herrschaft hat sich Chinas Bruttoinlandsprodukt vervierfacht, der überwiegende Teil der Gesellschaft genießt wachsenden Wohlstand. China ist zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht, zur Weltmacht geworden. Doch die neue Führung kann sich nicht auf den Fortschritten der Vergangenheit ausruhen. Mit Chinas Wirtschaft und Einfluss sind auch die Probleme gewachsen: Die soziale Ungleichheit hat extreme Ausmaße angenommen. Parteimitglieder und ihre Familien nutzen ihre Privilegien,  um enorme Reichtümer anzuhäufen. Korruption, Machtmissbrauch und Verschwendung sind allgegenwärtig. Immer häufiger kommt es zu Protesten.

Die Hoffnung der Partei, sozialen Frieden allein durch hohe Wachstumsraten erkaufen zu können, hat sich als trügerisch erwiesen, zumal die Ära des Turbowachstums zu Ende geht. Das chinesische Entwicklungsmodell, das auf Exporten und massiven Investitionen in Fabriken, Infrastruktur und Städtebau basierte, hat sein Verfallsdatum erreicht. In Zukunft muss China umweltfreundlicher, innovativer und sozialer wirtschaften.

China braucht eine fundamentale Erneuerung

Für die Partei sind das keineswegs Neuigkeiten. Die Herausforderungen werden in China offen debattiert. Der scheidende Staatschef Hu Jintao bezeichnete Chinas derzeitigen Kurs als „unausgewogen und nicht nachhaltig“. Offizielle Denkfabriken beschreiben die Lage als „auf unterer Ebene instabil, auf mittlerer Ebene beängstigend und an der Spitze außer Kontrolle“. Um die Probleme zu lösen, braucht China eine Erneuerung, die nicht weniger fundamental ist als Dengs Reformen von 1978.

Aber wird die Partei unter Xi Jinping den Mut und die Durchsetzungsfähigkeit besitzen, noch einmal über ihren Schatten zu springen? Denn diesmal geht es nicht um Ideologie, sondern um handfeste Interessen. Die Korruption lässt sich kaum bekämpfen, wenn Kaderfamilien über dem Gesetz stehen. Die Wirtschaft wird nur dann die richtigen Wachstumsimpulse bekommen, wenn Staatsbetriebe ihre Monopole aufgeben. Neue Ideen werden in China erst florieren, wenn Informationen frei zugänglich sind und in den Medien offen diskutiert werden dürfen.

Reformen sind ein Versprechen, das die Kommunistische Partei ihrem Volk schon seit Jahren macht. In der Realität versucht sie jedoch, ihre Autorität mit Repressionen und Zensur aufrechtzuerhalten. Hu Jintao ist damit durchgekommen. Xi Jinping wird es nicht so leicht haben.