Nach dem Mord an drei israelischen Jugendlichen erklingen auf Seiten der Israelis wie der Palästinenser die Rufe nach Rache und Vergeltung. In der aufgeheizten Lage ist zu wünschen, dass Premier Netanjahu besonnen handelt, kommentiert StZ-Korrespondentin Inge Günther.

Jerusalem - Der Mord an drei israelischen Teenagern, vermutlich begangen von zwei Hamas-Aktivisten, hat eine Büchse der Pandora geöffnet. Die Rachegelüste im ultranationalen Lager Israels kursieren so virulent wie eine ansteckende Seuche. Blind vor Wut machte im Anschluss an die Beerdigung ein Mob rechtsradikaler Siedler Jagd auf Palästinenser. Die Polizei griff ein, nahm Dutzende Randalierer fest. Aber wirklich stoppen ließ sich der Ausbruch an Gewalt bisher nicht.

 

Das Auffinden der halb verbrannten Leiche eines 16-jährigen Palästinensers in Jerusalem hat den schrecklichen Verdacht genährt, dass es einige israelische Extremisten nicht nur bei Parolen wie „Tod den Arabern“ beließen. Die Nachricht wirkte wie ein Fanal zu Ausschreitungen aufgebrachter palästinensischer Jugendlicher.

Radikale auf beiden Seiten heizen die Stimmung an

Was das lehrt? Nichts ist derzeit so wichtig wie Besonnenheit und eine Deeskalationsstrategie, um die Emotionen zu dämpfen, die sich nach dem 18-tägigen Entführungsdrama zu entladen suchen. Besonders problematisch ist, dass einige Nationalisten in der Regierung Netanjahu sie weiter aufpeitschen. Sie spielen letztlich dem Terror in die Hände, den sie doch eigentlich zerschlagen wollen, denn darauf hatten es die Radikalislamisten, auf deren Konto die Entführung geht, abgesehen: die Lage zu eskalieren, die Moderaten auf allen Seiten zu schwächen und womöglich ebenso die palästinensische Einheitsregierung, die zwar von der Hamas unterstützt wird, jedoch aus Loyalen von Präsident Mahmud Abbas besteht. Und der ist ein entschiedener Gegner des bewaffneten Kampfs.

Ja, es stimmt, in Hamas-Kreisen werden Terroristen nach wie vor glorifiziert. Aber die Hamas ist kein einheitlicher Block mehr. Sie ist heute schwächer und isolierter denn je. In Ägypten sitzen die mit ihr verbandelten Moslembrüder im Gefängnis. Aus den Tunneln kommt kein Waffennachschub mehr vom Sinai nach Gaza. Das mag Hardlinern als gute Gelegenheit erscheinen, offene Rechnungen mit der Hamas zu begleichen. Nur: bisherige israelische Gaza-Offensiven verschafften den Islamisten einen ungeahnten Solidarisierungseffekt auch unter säkularen Palästinensern.

Zurückhaltung kann eine Stärke sein

Die Hamas-Führung, die sich früher gerne mit Attentaten brüstete, dementiert, mit der Entführung etwas zu tun zu haben. Vielleicht nur, weil viele Palästinenser sich von diesem Verbrechen an Zivilisten distanzierten. Vielleicht aber auch, weil die beiden Hauptverdächtigen tatsächlich auf eigene Faust agierten. Natürlich müssen die Täter und ihre Hintermänner mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden. Die Häuser ihrer Familien zu sprengen, was israelische Soldaten bereits eigenmächtig taten, ist mit einem Rechtsstaat allerdings unvereinbar. Die Büchse der Pandora ist offen. Sie zu schließen ist im israelischen Interesse und damit Aufgabe der Regierung. Zurückhaltung kann eine Stärke sein, hat Ariel Scharon einst zu Hochzeiten der Intifada gesagt. Diese Weisheit und die Kraft, sie durchzusetzen, wünscht man jetzt Benjamin Netanjahu.