Erneut herrscht Krieg zwischen Hamas und Israel. Er kann zu einem Flächenbrand im ganzen Nahen Osten führen. Wo sind die Stimmen der Vernunft? Ein Kommentar von StZ-Politikchef Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Vielleicht ist das Gefährlichste an der aktuellen Entwicklung im israelisch-palästinensischen Konflikt der Déjà-vu-Effekt: jenes irritierende Gefühl, nicht etwas Neues, sondern nur Altvertrautes noch einmal zu erleben. Wieder fliegen Raketen aus dem Gazastreifen zu Hunderten in Richtung Israel. Wieder antwortet Israel mit Luftangriffen, werden geheime Waffenwerkstätten und die Treffpunkte radikaler Gruppen bombardiert. Wieder versuchen palästinensische Terrortrupps auf israelisches Gebiet vorzudringen. Wieder bereitet sich Israel vor, mit Bodentruppen im Gazastreifen einzumarschieren. Wieder sterben Menschen – viele, viele Unschuldige darunter.

 

Das alles ist so schrecklich wie vertraut. Wer kann noch zählen, wie viele Runden in diesem ständigen Wechsel von Gewalt und Gegengewalt, von offenem Krieg und kaltem Frieden bereits gedreht wurden? Das Gefühl, erneut einer ebenso sinnlosen wie in seinen Aktions- und Reaktionsmustern anscheinend unvermeidbaren Eskalation zuzusehen, kann jedoch zu einem Fehlurteil führen: dass nach einer Phase des offenen militärischen Schlagabtauschs alles wieder in den gewohnten Status quo übergeht. Dafür gibt es keine Garantie.

Ihre Schwäche macht die Hamas noch gefährlicher als sonst

Am 27. Dezember 2008 reagierte Israel das letzte Mal auf fortwährenden Raketenbeschuss mit einem Einmarsch in den Gazastreifen. Vier Wochen dauerte die Operation „Gegossenes Blei“, dann zogen die letzten Truppen wieder ab. Seither hat sich auf israelischer wie auf palästinensischer Seite, aber vor allem in der Nachbarschaft vieles verändert – und wenig zum Besseren.

In den vergangenen sechs Jahren sind die politischen Kräfte innerhalb der israelischen Gesellschaft, die für einen Ausgleich mit den Palästinensern, ein friedliches Arrangement in zwei unabhängigen, demokratischen und wirtschaftlich lebensfähigen Staaten eintreten, an den Rand gedrängt worden. Lauter und machtvoller ist die Stimme derjenigen geworden, die Israels Zukunft durch immer neue Siedlungen, durch Einschüchterung und Ausgrenzung der Palästinenser sichern wollen.

Auf Seiten der Palästinenser ist der halbwegs moderate Mahmud Abbas ein Präsident (fast) ohne Land, ohne Geld und ohne großen Rückhalt. Die Radikalen im Gazastreifen haben die Zeit genutzt, sich mit Tausenden Raketen zu versorgen – darunter Geschosse, die bis nach Jerusalem und Haifa fliegen können. Gleichzeitig ist die Hamas politisch isoliert und nahezu pleite. Viele ihrer Geldgeber in den Golfstaaten haben sich abgewandt. In Ägypten herrscht nun ein Militär, das die Muslimbruderschaft im eigenen Lande zerschlagen hat und nichts dagegen hätte, wenn der Hamas Gleiches geschähe. Ihre Schwäche, das ist die grausame Pointe, macht die Hamas noch gefährlicher als bisher, weil sie ihr Heil im mörderischen Kampf gegen Israel sucht. Die Offerte des Premiers Benjamin Netanjahu, Ruhe zu wahren, wenn die Hamas Ruhe gibt, beantwortete sie mit einem verstärkten Raketenhagel.

Wo sind die Stimmen der Vernunft?

Von außen ist kaum Hilfe zu erwarten. Ägypten fällt als Vermittler weitgehend aus, die USA haben sich nach dem Scheitern der letzten Runde sogenannter Friedensgespräche frustriert zurückgezogen. In der nahöstlichen Umgebung herrscht selbst kein Friede, sondern Krieg und staatlicher Zerfall: von Syrien bis in den Irak. Wer jetzt in Palästina Feuer legt, setzt einen neuen Brandherd in einer Region, in der es bereits an vielen Orten lichterloh brennt. Die einzelnen Feuer könnten sich zu einer gewaltigen Feuerwalze verbinden.

„In diesem Moment der Gefahr müssen alle Beteiligten die Unschuldigen schützen, mit Vernunft und Maß agieren, nicht mit Rache und Vergeltung“, hat US-Präsident Barack Obama gemahnt. Richtig gesagt, aber es ist momentan sehr schwer, im Nahen Osten Stimmen des Maßhaltens und der Vernunft zu vernehmen.