Hartgesottene Hausbesitzer führen die Stadt an der Nase herum. Die Politik ist zum Handeln gezwungen. Sonst steht das Leonhardsviertel auf der Kippe.

Stuttgart - Wir wollen hier nicht moralisieren. Das älteste Gewerbe der Welt gehört zum täglichen Leben, auch in Stuttgart. Die Stadt ist mit ihrer Politik, das diskrete Angebot zu dulden, bisher jedenfalls gut gefahren. Nun allerdings ist sie zum Handeln gezwungen: Das Leonhardsviertel zwischen der gleichnamigen alten Kirche und dem Wilhelmsplatz steht auf der Kippe. Neue Hausbesitzer ekeln alte Mieter hinaus. Reisende Gruppen von Prostituierten und ihren Zuhältern forcieren den verbotenen Straßenstrich. Die Bausubstanz, die zum Teil unter Denkmalschutz steht, verfällt zusehends. Nächtlicher Lärm und immer mehr Müll tun ein übriges. Der Charme, den auch ein solches Quartier durchaus haben kann, verkommt.

Ein gravierender Fehler


Leider hat die Stadt Stuttgart einen gravierenden Fehler gemacht. Als Manfred Rommel noch Oberbürgermeister war, hieß die politische Parole: Wir kaufen so viele Häuser auf wie nur möglich, dann können wir die Entwicklung jederzeit steuern. Seine Nachfolger und mit ihnen der Gemeinderat haben die totale Wende vollzogen: Weg mit all dem städtischen Hausbesitz - wir brauchen das Geld in der Stadtkasse. Das Ergebnis: siehe oben.

Zu allem Überfluss haben skrupellose Hauskäufer, die auf gute Gewinne aus dem horizontalen Gewerbe setzen, die Stadt an der Nase herumgeführt. Das erinnert stark an den Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel. Erst unterschreibt man gerne, die Gebäude nur an seriöse Mieter zu vergeben, dann aber vermietet man an einschlägige Kreise weiter - und wäscht seine Hände in Unschuld. Schließlich nimmt man sich findige Anwälte, die nichts anderes tun, als die Stadt mit immer neuen Tricks hinzuhalten - Zeit ist in diesem Falle Geld, viel Geld. Dass das Rotlichtviertel immer mehr verkommt und man im Grunde an dem Ast sägt, auf dem man sitzt - wen kümmert's?

Abriss könnte Chance bieten


Die Stadt und der Gemeinderat müssen also umsteuern. Und das möglichst rasch. Der seit Jahren diskutierte Abriss des Züblin-Parkhauses an der Leonhardskirche könnte tatsächlich die Initialzündung dafür sein. Denn wenn dieser hässliche Betonklotz fällt, der das Leonhardsviertel und das Bohnenviertel quasi wie eine Mauer trennt, ergäbe sich die Möglichkeit, beide wieder geschickt miteinander zu verbinden - wie es früher einmal war.

Auf diese Weise böte sich die einmalige Chance, Platz zu schaffen für innerstädtisches Wohnen, die Nachfrage ist jedenfalls gegeben. Und in einer vernünftigen Nachbarschaft könnte auch das Rotlichtviertel in geordneten Bahnen existieren. Hoffentlich sieht das auch die Chefetage von Züblin so. Dann wäre der Wettlauf zwischen Hase und Igel vorbei.