Der SPD-Sonderparteitag hat sich für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union entschieden. Die SPD stellt sich damit ihrer Verantwortung, aber es ist für sie keine Überlebensgarantie, kommentiert der StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Bonn - Der Schwanz wedelt mit dem Hund. Diese Redensart war in Mode, als die Schicksalsfrage, wer Deutschland regiert, entscheidend von der FDP abhing. Das ist lange her. Jetzt wedelt der Schwanz wieder mit dem Hund. Er hat nur eine andere Farbe. Das Schicksal der Republik hängt am Wohlwollen von ein paar hundert SPD-Delegierten. Die von Skrupeln gedämpfte Bereitschaft einer Parteitagsmehrheit, doch noch einmal über eine große Koalition zu verhandeln, weckt Hoffnung auf ein Ende der Regierungskrise. Ganz sicher kann sich Angela Merkel aber nicht sein, dass die Sozialdemokraten ihr zu einer vierten Amtszeit als Kanzlerin verhelfen – zumal das Ergebnis auf dem Parteitag sehr knapp ausgefallen ist. Am Ende entscheiden die Genossen von der Basis: 443 000 SPD-Mitglieder befinden darüber, wie es weitergeht in Deutschland. Der Schwanz wedelt weiter mit dem Hund.

 

Immerhin ist es der traditionsreichsten deutschen Partei erspart geblieben, auf offener Bühne politischen Selbstmord zu begehen. Nichts anderes wäre ein trotziges Nein zu einer konstruktiven Politik in Regierungsverantwortung gewesen. Ein solches Nein hätte die komplette SPD-Spitze blamiert – die Partei förmlich geköpft. Ein Votum gegen die ewige Juniorpartnerschaft an Angela Merkels Seite hätte die SPD ins oppositionelle Abseits katapultiert, das nicht mit einem Kurhotel zu verwechseln ist, wie manche Genossen glauben. Mit einem Veto gegen die Groko hätte sich die SPD gegen ihre eigene Geschichte versündigt. Eine Partei, die sich seit 150 Jahren um die deutsche Demokratie verdient gemacht hat, mehr als jede andere, die kann sich nicht einfach verweigern, wenn die Republik wegen Regierungsunfähigkeit Schaden zu nehmen droht.

Angela Merkel hat noch jeden kaputt regiert

Es ist keineswegs ehrenrührig, dass die Sozialdemokraten sich schwer tun mit der Entscheidung zwischen Parteiräson und Staatsverantwortung. Es ist keine Schande, nicht um jeden Preis regieren zu wollen. Es zeugt von demokratischer Reife, darüber mit Anstand zu streiten. Schließlich gibt es gute Gründe für die Furcht der Genossen vor einer weiteren Groko unter Merkels Regie. Die Frau hat noch jeden Mitregenten kaputt regiert. Als Steigbügelhalter Merkels hat die SPD Millionen Wähler vergrault. Ihr Marktanteil schrumpfte um die Hälfte. Von der Kooperation der Volksparteien hat bisher nur Merkel profitiert.

Doch diese große Koalition wäre anders als alle zuvor. Mit ihr beginnt die Restlaufzeit der Kanzlerin Merkel. Damit eröffnen sich für die SPD ganz andere Perspektiven. Die Groko ist für sie das kleinere zweier Übel. Die Genossen sichern sich politischen Einfluss, behaupten sich auf der Bühne der Macht. Das ist allemal aussichtsreicher als die innere Emigration. Es ist ja keineswegs so, dass die sozialdemokratische Handschrift in der Blaupause für einen Koalitionsvertrag nicht erkennbar wäre. Merkel hat der SPD mehr zugestanden als der FDP in den Jamaika-Verhandlungen. Wer mehr erhofft hat, verkennt den Wert von 20,5 Prozent Wähleranteil.

Viele Schicksalsfragen hat die SPD vertagt

Es ist aber eine Illusion zu glauben, dass im Zuge der regulären Koalitionsverhandlungen noch viele sozialdemokratische Wünsche in Erfüllung gehen. Merkel ist inzwischen vielleicht auch zu schwach, um den Genossen allzu große Zugeständnisse machen zu können. Es wäre aber fahrlässig, wenn die Union der SPD nicht an der einen oder anderen Stelle entgegen käme.

Viele Schicksalsfragen hat die SPD nun erst einmal vertagt: Wie lange kann sie Martin Schulz, den unglückseligsten in einer langen Reihe glückloser Parteichefs, noch ertragen? Welche Rolle soll er künftig spielen? Ist ihr Anspruch, Volkspartei sein zu wollen, nicht viel zu verwegen angesichts des dramatisch schrumpfenden Wählerpotenzials? Mitregieren ist allemal besser als eine gezielte Selbstverzwergung – aber noch keine Überlebensgarantie.