Auf dem Parteitag der SPD gewinnt Martin Schulz Profil als Alternative zur Bundeskanzlerin. Wenn nur nicht immer diese Zustimmung von 100 Prozent wäre, kommentiert Berlin-Korrespondent Christopher Ziedler.

Dortmund - Fast 100 Tage ist es her, dass Martin Schulz mit 100 Prozent der Delegiertenstimmen zum SPD-Vorsitzenden gewählt wurde. Damals schien es der folgerichtige Ausdruck einer Euphorie, die eine mit sich selbst hadernde Partei ergriffen hatte – im Rückblick wirkt es eher befremdlich und als Last auf den Schultern des Kanzlerkandidaten. Musste fortan nicht alles unterhalb der Euphorie-Schwelle als bröckelnder Rückhalt für Schulz gewertet werden? Unter diesen Vorzeichen kann der Parteitag am Wochenende als Erfolg gewertet werden: Die Genossen folgen Schulz auch, obwohl er nach drei für die SPD verlorenen Landtagswahlen keinen Heiligenschein mehr trägt, und haben – erneut einstimmig – für das auf ihn zugeschnittene Programm gestimmt.

 

Die in den vergangenen Monaten so schädliche Frage, wofür Martin Schulz eigentlich steht, ist nun beantwortet. Der Kandidat wirbt nicht mehr nur allgemein für mehr Gerechtigkeit und kann sich anhand konkreter Beispiele des Vorwurfs erwehren, er wolle nur das wirtschaftlich so erfolgreiche Land schlecht reden. Die Konzepte des Sozialdemokraten können sich dabei durchaus sehen lassen. Ob bei Rente, Bildung, Frauenförderung, Familie, Infrastruktur oder Steuern – die SPD vertritt keine sozialrevolutionären Thesen, sondern strebt moderate gesellschaftspolitische Reformen an. Die Abgabenreform etwa lässt sich als „Umverteilung light“ beschreiben. Inhaltlich geht die SPD gut gerüstet in die Bundestagswahl.

Hat die inhaltliche Klärung zu lange gedauert?

Die große Frage ist nun, ob dieser Klärungsprozess zu lange gedauert und die Sozialdemokraten damit in der öffentlichen Wahrnehmung zu weit ins Hintertreffen gebracht hat. Oder ist die aus SPD-Sicht so heiß ersehnte Aufholjagd doch noch möglich? Die Wahlen der jüngeren Zeit im In- und Ausland haben gezeigt, dass solche Last-Minute-Wählerwanderungen inzwischen mehr Regel denn Ausnahme sind. Wer auf der Zielgerade am besten aussieht, kann auf den letzten Metern vorbeiziehen. Hieße die Gegnerin nur nicht Angela Merkel, die es wie kaum eine andere versteht, politischen Angriffen auszuweichen und ihre Herausforderer mit der Vereinnahmung von deren Positionen zu entwaffnen!

Martin Schulz hat auf dem Parteitag erstmals ernsthaft versucht, die weithin populäre Kanzlerin anzugreifen und zu stellen. Ihr eine „Arroganz der Macht“ oder einen „Anschlag auf die Demokratie“ vorzuhalten, weil sich Angela Merkel aus SPD-Sicht einer inhaltlichen Auseinandersetzung verweigert, ist für Schulz nicht ohne Risiko. Es könnte als Foulspiel gegen die beliebte Amtsinhaberin gewertet werden. Das gilt genauso, wenn Schulz die Abhängigkeit der moderaten CDU-Chefin vom deutlich rechteren CSU-Chef Horst Seehofer thematisiert. Der respektable Rückstand in den Umfragen zwingt den SPD-Chef jedoch zu diesem Risiko. Unter Verzicht auf persönliche Tiefschläge hat er seine Partei als programmatisch ambitioniert und konkret, die der Kanzlerin als inhaltlich ausgezehrt, ideenlos und vage in ihren Versprechungen dargestellt. Tatsächlich muss der Union, die ihr Programm am 3. Juli der Öffentlichkeit präsentiert, noch etwas einfallen, wenn diese sozialdemokratische Erzählung sich nicht festsetzen soll.

Die Unterschiede zur CDU liegen nur klar auf dem Tisch

Knapp 100 Tage vor der Bundestagswahl liegen nach diesem SPD-Parteitag die Unterschiede zwischen den bisherigen Koalitionspartnern so offen zu Tage wie lange nicht mehr. Wenn CDU und CSU nachgelegt haben, wird noch offensichtlicher werden, dass dieses Land eine Wahl hat. Das gilt für die Nato-Rüstungspolitik, der Klarheit der Ansagen gegenüber dem US-Präsidenten, die Homo-Ehe und nicht zuletzt in sozialpolitischen Fragen. Das sagt noch nichts darüber, wer am Ende mit wem regiert. Der demokratischen Entwicklung aber tut es gut, wenn die Alternativen wieder sichtbarer werden.