Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat die Debatte um den Euro-Stabilitätspakt wieder angeheizt. Doch Rufe nach einer Lockerung der Sparpolitik sind verantwortungslos, kommentiert der StZ-Redakteur Roland Pichler.

Berlin - Es ist erst drei Jahre her, da verkündeten die europäischen Staats- und Regierungschefs eine Zeitenwende: Im Euroraum sollte künftig eine strenge Haushaltsüberwachung gelten, die dem Schlendrian in der Finanzpolitik ein Ende bereitet. Worüber unmittelbar nach der Finanz- und Wirtschaftskrise noch Einigkeit bestand, wird nun infrage gestellt. Zeichen für den Rückfall in alte Zeiten gibt es zuhauf: Italien und Frankreich versuchen seit Monaten, sich von den Fesseln des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu befreien.

 

Alarmierend ist, dass sie jetzt auch in Deutschland Unterstützung finden. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) befürwortet ebenfalls eine andere Auslegung der Regeln. Die Kanzlerin musste ihren Vize zurückpfeifen, um den Schaden in Grenzen zu halten. Das ist ein ernster Vorgang: Schließlich haben die Gründungsväter der Währungsunion einst versprochen, dass die Defizitobergrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung verbindlich ist. Wer die jüngste Debatte in Berlin, Paris und Rom verfolgt, gewinnt den Eindruck, die Sache werde nicht so heiß gegessen. Das wäre ein fataler Irrtum.

Das Zauberwort heißt Flexibilisierung

Es ist nicht das erste Mal, dass wichtige Euroländer den Stabilitätspakt aufweichen wollen. Deutschland und Frankreich setzten das Regelwerk schon einmal, im Jahr 2003, faktisch außer Kraft. Das darf sich nicht wiederholen. Die Kritiker versichern jedoch hoch und heilig, der Pakt solle nicht geändert werden. Das Zauberwort heißt Flexibilisierung. Auch das erinnert an früher: damals lautete die Begründung, der Pakt dürfe nicht statisch gesehen werden. In der Sache geht es Sozialdemokraten und Sozialisten in Europa darum, die Sparauflagen zu lockern. Dabei übersehen sie, dass der Stabilitätspakt schon jetzt (zu) großen Spielraum bietet. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat recht: Das Problem besteht nicht darin, dass die Regeln zu streng sind, sondern dass sich niemand daran gebunden fühlt.

In der jüngsten Vergangenheit haben EU-Kommission und europäische Finanzminister die Vorschriften großzügig ausgelegt. Das beweist Frankreich: Obwohl die französische Neuverschuldung seit 2008 ausnahmslos über der Marke von drei Prozent liegt, konnte Paris stets auf Nachsicht hoffen. Im vergangenen Jahr beschlossen die europäischen Finanzminister, dass die Regierung von François Hollande bis 2015 Zeit erhält, um das Defizit unter die erlaubte Grenze zu senken. Doch auch diese Verlängerung reicht wohl nicht. Ein weiteres Entgegenkommen wäre ein Fehler. Den Ernst der Lage hat Frankreich immer noch nicht verstanden. Auch Italien, das sich zurzeit noch nicht im Defizitverfahren befindet, fordert mehr Freiräume. Wenn sich diese Länder durchsetzen, wird der Stabilitätspakt nicht mehr das Papier wert sein, auf dem er steht.

Es geht um die Glaubwürdigkeit der Politik

Deshalb ist der Ruf nach Lockerungen verantwortungslos. Der SPD-Chef Gabriel argumentiert, es müsse mehr Anreize für Reformen geben. Doch den Tausch von Zeit gegen Reformversprechen hat es in den vergangenen Jahren zigfach gegeben. Während hochverschuldete Länder wie Spanien und Portugal viel getan haben, lassen Reformen in Frankreich und Italien auf sich warten. Nur wenn Europa den Druck auf Defizitsünder verstärkt, bewegt sich etwas. Es geht um die Glaubwürdigkeit der europäischen Politik. An den Finanzmärkten ist auch deshalb Ruhe eingekehrt, weil sich die Eurostaaten zur Haushaltssanierung verpflichtet haben. Wenn die Staaten davon abrücken, steigen die Risiken.

In der Debatte wird übersehen, dass es nicht nur um irgendwelche Prozentzahlen beim Defizit geht. Auf dem Spiel steht mehr. Nur wenn die Staaten ihre Haushalte in den Griff kriegen, werden die Bürger, Unternehmen und Investoren wieder Vertrauen fassen. Europa muss lernen, die eigenen Ankündigungen umzusetzen.