Nelson Mandela hat Südafrika und der Welt viel gegeben. Das verpflichtet die Erben, meint StZ-Korrespondent Johannes Dieterich.

Johannesburg - Nelson Mandela ist tot und die Welt wird kälter. Nicht, dass sich der 94-jährige Pensionär in den vergangenen Jahren noch in globale Debatten oder die Geschicke Südafrikas eingemischt hätte. Trotzdem wird das Kap der Guten Hoffnung noch unberechenbarer und stürmischer werden. Die bloße Anwesenheit des Gründervaters der neuen südafrikanischen Republik wirkte wie ein Warnsignal für Politiker, die die Orientierung zu verlieren drohten: „Was würde Madiba dazu sagen?“, mussten sich entgleisende Entscheidungsträger oftmals fragen lassen. „Er hat uns zusammengehalten“, sagt der Johannesburger Publizist Mondli Makhanya.

 

Den Streit, ob Persönlichkeiten Geschichte machen, oder ob sie nur die Agenten geschichtlicher Prozesse sind, hat Nelson Mandela ein für alle Mal zu Gunsten der Individualität entschieden. Ohne ihn wären die Geschicke Südafrikas mit Sicherheit wesentlich schlimmer verlaufen. Als Nelson Mandela nach 27 Jahren hinter Gittern am 11. Februar 1990 mit erhobener Faust aus dem Gefängnis schritt, war er weder ein gebrochener noch ein verbitterter Mann, sondern legte genau jene Mischung aus Weisheit, Großherzigkeit und Prinzipientreue an den Tag, die das Land im Umbruch damals brauchte. Hätte der Nahe Osten – auf welcher Seite auch immer – einen Nelson Mandela gehabt, die Welt würde heute gewiss anders aussehen.

Mandela versöhnte nicht nur – zumindest vorübergehend – ein von Jahrhunderten rassistischen Überlegenheitswahns zerrissenes Land mit sich selbst, indem er sich sowohl um die Furcht der weißen Minderheit als auch um die Wut der schwarzen Mehrheit kümmerte. Er wurde auch zur globalen politischen Ikone, dem Gesicht einer menschlicheren Welt. Wenn nach dem Beispiel eines Politikers gesucht wurde, der nicht von Macht- oder Geldgier, einem bedürftigen Ego, Verfolgungs- oder Größenwahn getrieben ist, dann war es in Nelson Mandela zu finden: Der Mann wurde zur Inspiration für alle, die sich nach den nobelsten Werten der Menschheit – der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – zu orientieren suchen. Madiba, der im wirklichen Leben alles andere als einem sündlosen Musterknaben entsprach, kam dem widersprüchlichen Bild des „Heiligen der Aufklärung“ sehr nahe.

Südafrikaner sollten sich auf die Qualitäten ihres einstigen Präsidenten besinnen

Die kommenden Tage werden voraussichtlich schwer zu ertragen sein. Jeder, der etwas auf sich hält, wird sich in Superlativen überbieten und mit Lobgesängen auf den verstorbenen Riesen aufwarten – in der Hoffnung, dass auch etwas vom Glanz des Gelobten auf den Lobenden abstrahlt. Schon zu Mandelas Lebzeiten gab es für prominente Südafrikareisende aus aller Welt kein höheres Ziel, als eine Audienz bei der Ikone und – vor allem – ein gemeinsames Foto zu ergattern: Für eine Einladung in Johannesburg wurde selbst eine Audienz beim Papst in den Wind geschlagen.

Am Kap der Guten Hoffnung selbst werden die Lobeshymnen besonders schrill ausfallen. Noch einmal wird sich der regierende Afrikanische Nationalkongress im Licht seines einstigen Präsidenten sonnen – und auf diese Weise den trostlosen Zustand zu übertünchen suchen, in dem sich die 101 Jahre alte Organisation befindet. Von Nelson Mandelas Geist wird die von Kleingeistigkeit, Korruption und inneren Kämpfen gebeutelte Partei derzeit so wenig beseelt wie Madibas verstorbener Körper: Der Traum von der Regenbogennation ist im Begriff, der Wirklichkeit eines von raffgierigen intellektuellen Zwergen bedrohten Staates zu weichen. Sich auf die Qualitäten ihres einstigen Präsidenten, auf seine Würde, seine Standfestigkeit und seine tiefe Menschlichkeit zurück zu besinnen, wäre das schönste Geschenk, das die Südafrikaner dem größten ihrer Söhne zu dessen Abschied machen könnten. Was in gleicher Weise auch für den Rest der Menschheit gilt.